Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Brauchen wir ein „Wahrheitsministerium“?

Grundfragen der Wirtschaftsethik LI

Von Werner Lachmann

George Orwell (1903-1950, eigentlich Eric Blair) hat in seinem letzten 1950 erschienenen utopischen Roman „1984“ die Welt in drei sich in Scheinkriegen verwickelte Supermächte aufgeteilt. Er schildert, in Anlehnung an die Erfahrungen des Dritten Reiches, die totale Kontrolle der Menschen durch die Staatspartei. Diese Kontrolle wird der Bevölkerung aufgezwungen mit Hinweis auf die Bedrohung durch die anderen Supermächte. Überall „Big brother is watching you“-Plakate. Mit Hilfe modernster Technik überwacht und beeinflusst die Partei ihre Mitglieder bis in die Intimsphäre hinein.

Newspeak

Nur die „proles“, die ca. 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen, also das gemeine Volk, werden nicht bespitzelt, aber dafür in geistiger Unmündigkeit gehalten. In dieser totalitären Welt gibt es keine historischen Fakten mehr. Mit hohem Propagandaaufwand wird das menschliche Gedächtnis stets neu programmiert. Die Geschichte wird nach Bedarf fortlaufend neu- oder umgeschrieben. Alte Unterlagen werden permanent vernichtet; alles ist immer auf dem neuesten Stand. Die Parolen der Partei lauten „Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“, „Unwissenheit ist Stärke“.  Die Gleichheit von Wahrheit und Lüge wird durch „newspeak“ (Neusprache) mit eigener Grammatik durchgesetzt. Ziel ist das Ausschalten des Denkens. „Gedankenverbrechen“ sind die schlimmsten Verbrechen. Das „Wahrheitsministerium“ ist für diese Aufgaben der Manipulation zuständig. An Winston Smith, einem kleinen Angestellten dieses Wahrheitsministeriums, zeigt Orwell, dass es unmöglich ist, in dieser Alptraumwelt als Individuum zu existieren. Smith versucht, sich an seine Kindheit zu erinnern, aber es gelingt nur bruchstückhaft. Individuelles Glück erlebt er kurz mit Julia, die dem Einfluss der Partei auch zu entrinnen versucht. Der Versuch, gegen die Partei zu rebellieren, wird verraten und er wird „umerzogen“. Schließlich kriecht er der Partei zu Kreuze und verrät auch Julia. Als er aufgehört hat als Individuum zu existieren, wird er frei gelassen. Er hatte den Sieg über sich selbst errungen und liebte nun den großen Bruder.

Betrachtet man einige politische Entwicklungen heute, wird man an diesen Roman Orwells erinnert. Kritische Stimmen werden oft ignoriert, unterdrückt und diffamiert. Es gehört jedoch zum wissenschaftlichen Denken und zur Befriedigung der Neugier, Aussagen zu hinterfragen. Von daher könnte der politische Versuch, „fake news“ zu verbieten, in die von Orwell skizzierte Richtung gehen. Manipulation ist schlimm – aber der beste Schutz ist der freie Zugang zu Informationen und eine aufgeklärte Bevölkerung. Wenn die türkische Regierung es unter Strafe stellt, den Völkermord an den Armeniern, als Faktum darzustellen, ist das nicht Gedankenpolizei? Wenn die französische Regierung das Leugnen des Völkermordes an den Armeniern im Gegenzug ebenfalls unter Strafe stellt, nähern wir uns dann nicht „1984“? Wenn die Regierung dazu auffordert, nicht den „fake news“ zu glauben, sondern sich auf die Aussagen der Regierung zu verlassen, oder Frau von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, dazu auffordert, der Weltgesundheitsorganisation und den Gesundheitsbehörden zu vertrauen, droht dann nicht doch „1984“? Selbst wenn ein britischer Bischof den Holocaust leugnet, ist das m.E. ein Zeichen von Unwissenheit, Dummheit oder bösartiger Lüge, aber doch kein Straftatbestand.

Wahrheit nicht per Gesetz

Wahrheit kann man nicht per Gesetz verordnen. Aufklärung und freier Zugang zu Informationen sind nötig. Sonst geraten wir in die Situation, manipuliert zu werden wie die Einwohner von Orwells Ozeanien. Gefährlich ist ein „Meinungsmonopol“ oder ein „Informationsmonopol“. Der mündige Bürger muss sich aus den einzelnen Informationen eine eigene Meinung bilden können. Dies ist nicht eine Sache der Justiz sondern der Informationsfreiheit. Deshalb ist Querdenken im Prinzip nicht verwerflich, Querdenken ist vielmehr ein Garant für die Demokratie und den wissenschaftlichen Fortschritt. Waren zu ihrer Zeit nicht auch Einstein, Newton und Kopernikus „Querdenker“? Natürlich darf nicht zu Hass aufgerufen werden – das ist kein Querdenken! Aber warum darf ein Bürger nicht seine Überzeugung zur Abtreibung, zur praktizierten Homosexualität, zur Bedeutung der Ehe von Mann und Frau, zum Stellenwert der Familie als Grundbaustein der staatlichen Gemeinschaft deutlich äußern? Es darf weder von links noch von rechts eine Meinungsdiktatur geben. Der Gleichschaltung im Denken muss rechtzeitig gewehrt werden.

Auch bei der Forderung von Gleichberechtigung gibt es naive Vorstellungen. Wichtig ist die Chancengleichheit! Sie muss für Arbeiterkinder, Migranten, Frauen usw. gesichert werden. Aber Ergebnisgleichheit ist Unsinn! Jeder muss eine Chance haben. Aber es ist naiv, die Ergebnisse zu vereinheitlichen. Ich könnte noch viele Ergebnisgleichheiten fordern. Schwarzhaarige und Blonde, Kurze und Lange, Braun- und Blauäugige usw. müssten auch alle gleich im Parlament vertreten sein. Alle Berufe müssten gleich vertreten sein. Das ist doch verrückt! Bei vielen „Großverdienern“ (Sportler, Vorstände usw.) wird kaum hinterfragt.

„Fanget uns die Füchse, fanget uns die kleinen Füchse, die den Weinberg verderben“ heißt es in Hohelied 2:15. Wenn der Freiheitsdeich von Maulwürfen durchlöchert ist, hält er der Springflut nicht mehr stand. Nicht umsonst sagt der Volksmund, dass man den Anfängen wehren soll, auch den Anfängen der Freiheitseinschränkungen. Selbst Gott hat den Menschen die Freiheit gegeben, sich gegen ihn zu entscheiden – mit den bekannten Konsequenzen. Die Aussagen von Wissenschaftlern sind keine Wahrheit, die nicht hinterfragt werden darf. Ihre Aussagen beruhen auf Modellen, und die Ergebnisse hängen von den unterstellten Parametern ab. Wissenschaftler können irren und vertreten oft auch nur ihre eigenen Überzeugungen.

Das Salz muss aus dem Fass

Die meisten Einwohner von Ozeanien (sogar 85 Prozent) sind gesellschaftlich desinteressiert und damit für die Partei uninteressant. Sie leben nach der Devise „Brot und Spiele“. Haben sie ihren Sport, ihre Spiele und Lustbarkeiten und ausreichende materielle Versorgung, sind sie zufrieden. Könnte sich ein Vergleich zu heute aufdrängen? Es ist nur eine Minderheit, die sich politisch und gesellschaftlich engagiert, die zum Querdenken auffordert. Man gewinnt den Eindruck, dass sie geschnitten wird. Mit Verfahrenstricks (Einschränkung der Redezeit, Verbot von Nachfragen bei Fragestunden usw.) versucht die Regierung, den Einfluss der Opposition einzuschränken, bis zur Verweigerung eines Bundestagsvizepräsidenten für eine unliebsame Partei.

Wie anders ist Gott! Er gibt uns Menschen frei. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Ihr seid das Salz der Erde“ (Matthäus 5:13). Salz ist bekanntlich immer in der Minderheit, wenn es seine Funktion ausübt. Bekanntermaßen ist Salz Natriumchlorid (NaCl), eine Mischung aus dem giftigen Chlor und dem edlen Natrium. Beide Bestandteile sind gefährlich, aber die Verbindung ist lebensnotwendig. Salz dient zur Konservierung, so hält Gott sein Gericht über die Welt der Christen wegen auf. Aber das Salz muss aus dem Salzfass heraus, wenn es seine Salzfunktion ausüben soll. Daher sollten sich Christen mehr in die Politik einmischen und sich dafür interessieren. Sie sollten sich nicht vor dem bösen, schmutzigern politischen Geschäft drücken und es den anderen überlassen. Es gehört mit zu dem „Suchet der Stadt Bestes“, wie Jeremia die Exilanten in Babel aufforderte, sich gesellschaftlich zu betätigen und politisch einzumischen. Paulus schreibt an die Thessalonicher (1. Thessalonicher 5:15): „Prüfet aber alles und das Gute behaltet.“ Der Bürger sollte Behauptungen und Statements (auch von amtlicher Seite) nicht naiv übernehmen, sondern kritisch hinterfragen. Pilatus fragte bei seinem Verhör Jesus: „Was ist Wahrheit“. Für uns Christen ist die Wahrheit eine Person. „Ich bin die Wahrheit“, war Jesu Antwort. Und seine Wahrheit macht uns frei und gibt Mut für schwierige Aufgaben.

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