Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Über Sinn und Unsinn von nachhaltigen Lieferketten

Julia Hartmann, Professorin für Wirtschaft und Nachhaltigkeit, EBS Universität für Wirtschaft und Recht

Die Kritik am geplanten Lieferkettengesetz der Europäischen Union ist groß. Zahlreiche Wirtschaftsverbände und Unternehmer verweisen darauf, dass die Implementierungskosten unverhältnismäßig hoch seien im Vergleich zur erwarteten geringen Wirkung. Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion geht vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine sogar soweit, das Lieferkettengesetz als „Gift für die Konjunktur“ zu bezeichnen (Greive et al., 2022 (8 March)). Die Annahme ist, dass ein Gesetz wie das von der EU vorgeschlagene für die betroffenen Unternehmen (hier Einkäufer) einseitig Kosten verursacht, aber weder einen ökonomischen Nutzen für die Einkäufer mit sich bringt, noch zu einer Verbesserung sozialer oder ökologischer Bedingungen in der Lieferkette führt.

Ziel dieses Beitrages ist es, diese Annahmen auf ihre Haltbarkeit hin mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu überprüfen. Ist die Wirkung eines Lieferkettengesetzes auf die Lieferanten tatsächlich so gering, wie von den Gegnern einer solchen Verpflichtung vorgebracht wird? Und haben die betroffenen Unternehmen tatsächlich nichts davon? 

Tatsächlich ist die Wirkung unternehmerischer Kaufentscheidungen auf das Verhalten von Lieferanten signifikant und dabei spielt es weniger eine Rolle, ob es sich dabei um ein kleines oder ein großes Unternehmen handelt, sondern vielmehr, wie die Beziehung zwischen den an der Lieferkette beteiligten Unternehmen ausgestaltet ist. 

Lassen Sie uns dazu eine wissenschaftliche Analyse von Emissionen in Unternehmen und deren Wertschöpfungsketten ansehen. Im Durchschnitt sind die Emissionen , welche in der Lieferkette eines Unternehmens entstehen, fünf bis sechs Mal so hoch, wie diejenigen, die im Unternehmen selbst entstehen (CDP Carbon Disclosure Project, 2019). Das liegt zum Beispiel daran, dass Produktionsstandorte in Deutschland oft technisch moderner sind als beispielweise in Pakistan und dementsprechend weniger Energie benötigen. Das bedeutet, dass in der Lieferkette eines Unternehmens ein enormes Potenzial schlummert, um Emissionen zu reduzieren. Aber die meisten Unternehmen sind sich dessen gar nicht bewusst. In einer Langzeitstudie unter mehreren hundert Unternehmen fanden ein Doktorand und ich heraus, dass die Integration von ökologischen Kriterien in die Einkaufsstrategie und das Lieferantenmanagement zu einer erheblichen Reduktion der Emissionen in der Lieferkette führt. Im Schnitt betrug die Einsparung 17% pro Jahr. In Zeiten, in welchen Klimaemissionen mit einem Preis versehen werden, bergen die Lieferketten also ein signifikantes, finanzielles Einsparpotenzial (Eggert and Hartmann, 2021). 

Ein weiteres wissenschaftliches Ergebnis, das für wirtschaftliche Entscheider relevant sein dürfte, ist, dass Unternehmen mit einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Einkaufsstrategie deutlich besser durch die Pandemie gekommen sind. In dieser Studie haben wir untersucht, ob sich die Aktienkurse während der Pandemie von Unternehmen mit einer solchen Strategie im Vergleich zu denjenigen ohne unterschiedlich entwickelt haben. Das Ergebnis: Nachhaltige Unternehmen waren weniger lang und weniger stark von Einbrüchen des Aktienkurses betroffen. Offensichtlich hatten Investoren den Eindruck, dass diese Unternehmen strategisch in ihrer Lieferkette besser aufgestellt sind, um mit Pandemie-bedingten Problemen in der Lieferkette umzugehen (Eggert and Hartmann, 2022).

Wir haben diese statistischen Ergebnisse mit Vertretern aus der Praxis reflektiert, um besser einschätzen zu können, warum Unternehmen mit einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie besser durch die Pandemie kamen. Diese erklärten, nachhaltiger Einkauf bedeute eben nicht, dass man Lieferanten Vorschriften darüber macht, welche ökologischen oder sozialen Ziele sie zusätzlich zur Kostenreduktion erreichen müssen. Es sei vielmehr eine andere Art der Zusammenarbeit mit Lieferanten, die viel direkten Austausch, Technologietransfer und Wissensvermittlung beinhaltet. Der Lieferant wird als Partner gesehen und Ziele mit attraktiven Anreizen inzentiviert, zum Beispiel mit langfristigen Lieferverträgen. Das schafft gegenseitiges Vertrauen in die Beziehung. In der Pandemie haben diejenigen Lieferanten, die schon vorher eine solch starke Beziehung zu ihren Kunden aufgebaut haben, dies honoriert, indem sie diese Unternehmen in der Krise bevorzugt beliefert haben. 

Es wäre übrigens nicht verwunderlich, wenn man diese Ergebnisse vor zehn Jahren so nicht herausgefunden hätte. Damals sprachen wenige Unternehmen über Nachhaltigkeit und Prozesse wurden kaum verändert. Aber seit einiger Zeit spüren Unternehmen bereits erste Folgen des Klimawandels. Die immerwährende Verfügbarkeit erneuerbarer Rohstoffe ist ins Wanken geraten. Produktionsstätten brennen ab oder werden überflutet. Der Kampf um nicht-erneuerbare Rohstoffe wird schärfer und treibt Preise stetig nach oben. Das zwingt immer mehr Unternehmen zum Handeln und die meisten Ansätze dazu greifen noch zu kurz, um den Problemen tatsächlich gerecht zu werden. Die Tatsache, dass Investoren inzwischen ebenfalls auf solche Änderungen reagieren und nachhaltige Unternehmen besser bewerten, ist ein Hinweis darauf, dass dies in Zukunft noch mehr werden könnte, was die Wirtschaftlichkeit eines solchen Ansatzes noch unterstreicht. 

Mit Blick auf das Sorgfaltspflichtengesetz in Deutschland oder das nun vorgeschlagene Gesetzesvorhaben der EU bleibt zu sagen, dass beide Gesetze die Dringlichkeit des Problems nur hervorheben. Die Aufgabe ist weder unlösbar, wenn auch – zugegebenermaßen – nicht einfach, noch schafft sie keinen Mehrwert. Im Gegenteil, die zitierten Studien belegen, dass sowohl Einkäufer als auch Lieferanten Vorteile von nachhaltigen Wertschöpfungsketten haben. Heute können Unternehmen noch von einem Wettbewerbsvorteil durch Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette profitieren. Langfristig gesehen scheint sie jedoch alternativlos.

Julia Hartmann

Referenzen

CDP Carbon Disclosure Project. 2019. Changing the Chain. Making environmental action in procurement the new normal. Accessed: 26 January 2022, https://www.cdp.net/en/research/global-reports/changing-the-chain.

Eggert, J. and J. Hartmann. 2021. Purchasing’s contribution to supply chain emission reduction. Journal of Purchasing and Supply Management 27 (2): 100685.

Eggert, J. and J. Hartmann. 2022. Sustainable Supply Chain Management – a Key to Resilience in the Global Pandemic. Supply Chain Management: An International Journal forthcoming

Greive, M., C. Herwartz and F. Specht. 2022 (8 March). „Giftliste“ der EU-Bürokratie – Unions-Wirtschaftsflügel fordert Belastungsmoratorium, Handelsblatt. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/regulierung-giftliste-der-eu-buerokratie-unions-wirtschaftsfluegel-fordert-belastungsmoratorium/28141712.html: Berlin, Brüssel

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Die neusten Beiträge

Über uns

Die Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik ist ein eingetragener Verein zur Förderung von Forschung und Lehre in den Wirtschafts- wissenschaften auf der Grundlage einer Ethik, die auf dem biblischen Welt- und Menschenbild beruht.

Kontaktieren Sie uns
Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik e.V.

Prof. Dr. Christian Müller

Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Scharnhorststr. 100
48151 Münster

E-Mail: info[a]wirtschaftundethik.de

oder   christian.mueller[a]wiwi.uni-muenster.de

Tel.: (02 51) 83 – 2 43 03/ -2 43 09

© 2021 Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik e.V. – website by yousay

Impressum   –     Datenschutz