Neue Einsichten zur Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Volksrepublik China aus ordnungsethischer Perspektive.
Nach Jahrzehnten der Zurückhaltung präsentiert sich die Volksrepublik China als selbstbewusste Weltmacht auf dem internationalen Parkett. Dieser historisch beispiellose (Wieder-)Aufstieg wäre ohne die rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung kaum denkbar. Dabei gibt der ordnungspolitische Rahmen bis heute Rätsel auf. In der Verfassung ist eine „sozialistische Marktwirtschaft“ festgeschrieben. Hierbei handelt es sich nicht um eine liberale, sondern um eine bürokratisch administierte, autoritäre Ordnung, in der der Staat und damit die Kommunistische Partei die Regeln vorgeben. Die Staats- und Parteiführung kontrastiert in letzter Zeit verstärkt die nationale Sonderstellung Chinas als Gegenmodell zu den marktliberalen Gesellschaften des Westens und lockt potenzielle Partner in Afrika und Südostasien mit finanziellen Mitteln für gewaltige Entwicklungsprojekte („neue Seidenstraße“). Ziele sind Dominanz und der Aufbau eines „neuen Reiches der Mitte“.
In seinem aktuellen Buch „Ziele und Werte ‚sozialistischer Marktwirtschaft‘“ legt Prof. Nass aufbauend auf einer Analyse der aktuellen chinesischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung das Wertefundament der aktuellen chinesischen Politik offen. Damit soll das kritische Nachdenken über die Ordnungsethik westlicher Ökonomie einerseits, ein verantwortbares Verhalten des Westens gegen- über China andererseits herausgefordert werden.
1. Der ökonomische Pragmatismus der Chinesen ist legendär, da stellt sich gleich zu Beginn die Frage, ob die Wirtschaftsordnung dort überhaupt eine Rolle spielt?
Dieser Pragmatismus folgt einem obersten Ziel. Für die Wirtschaft Chinas besteht das höchste gesellschaftliche Ziel darin, die Macht der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zu sichern. Das ist nach dem Bild eines früheren Beraters von Deng Xiaoping der Käfig, in dem sich alles weitere abspielen muss. Dies ist die oberste Werte-Ebene. Das Spiel im Käfig muss dann wirtschaftlichen Erfolg und umerzogene Menschen hervorbringen, die dem Kollektiv dienen und sich für die Partei aufopfern. Das ist die abgeleitete, zweite Werteebene. Die Wirtschaftsordnung schließlich soll diesen sekundären Zielen von Wohlstand und Umerziehung dienen. Das ist die dritte Werte-Ebene. Mo-
mentan ist eine Staatswirtschaft mit marktwirtschaftlichen Ele- menten dazu das ausgewählte Instrument. In zehn Jahren wird es womöglich eine andere Ordnung sein.
2. Die chinesische Regierung fährt im Moment einen sehr vorsichtigen Kurs in Sachen Wirtschaft – wie steht es um die „sozialistische Marktwirtschaft“ im Moment?
Staatliche Reglementierungen haben unter Xi Jinping wieder zugenommen. Marktwirtschaftliche Instrumente wie Privateigentum und Unternehmertum werden durch die Partei verstärkt kontrolliert. Auch nimmt die chinesische Führung wahr, dass mit der Marktöffnung so genannte kapitalistische Untugenden wie Geiz, Korruption und Gier das konfuzianisch geprägte Ziel der Harmonie gefährden. Die KPC sucht deshalb nach der Alternative einer passenden Sozialkultur im Käfig. Dies führt zu einer Zurückdrängung des Marktes und zu einem Erstarken kollektivistischer Staatswirtschaft.
3. Ist das deutsche bzw. westliche Konzept des Wandels durch wirtschaftliche Annäherung im Umgang mit China eigentlich gescheitert?
Ja. In China zielt die Mischung aus Kommunismus, Konfuzianismus und Patriotismus auf einen globalen hegemonialen Anspruch: wirtschaftlich, politisch und auch militärisch. Patriotische Auslandschinesen importieren kaum Freiheitswerte, sondern vor allem nützliches Know-How und Devisen. Die KPC will möglichst bald die Regeln der Weltordnung nach ihren Zielen bestimmen. Das hat Xi Jinping immer wieder in seinen Re- den ausdrücklich gefordert. Ein Wandel zu einer freiheitlichen Ordnung ist nicht in Sicht. Repression gegenüber Andersdenkenden und Sozialkontrollen im Land werden verschärft und perfektioniert. Und sie werden von einer Mehrheit toleriert, die schon zu neuen sozialistischen Menschen umerzogen wurden. Die können mit freiheitlichen Werten in unserem Sinne nichts anfangen.
4. Was würden Sie vor diesem Hintergrund für die künftige Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen raten?
Ziel muss es sein, dass chinesische und westliche Unternehmen und Regierungen auf Augenhöhe ehrlich miteinander verhandeln und handeln. Davon sind wir derzeit weit entfernt, sind wir doch in hohem Maße abhängig von China (Rohstoffe, Liefer- ketten, Arbeitsplätze, Absatzmärkte u.a.). Solange uns das daran hindert, offen etwa unlautere Verträge (etwa der so genannten Seidenstraße) oder Menschenrechtsverletzungen zu benennen, besteht aus ethischer Sicht eine Schieflage. Deshalb müssen die Abhängigkeiten Schritt für Schritt abgebaut und neue Handelspartnerschaften etwa mit Indien, Japan, Taiwan u.a. umgehend weiter ausgebaut werden.
Prof. Dr. theol. Dr. soc. Elmar Nass ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und dort zudem Prorektor.
Quelle der Erstveröffentlichung: Kohlhammer Blog Wirtschaftswissenschaften vom 27.7.2023: https://blog.kohlhammer.de/wirtschaftswissenschaften/