»Tod, wo ist Dein Sieg? Tod, wo ist Dein Stachel?« So fragt der Apostel Paulus im Korintherbrief – und möglicherweise auch der eine oder andere Tech-Milliardär aus dem Silicon Valley. »Transhumanismus« lautet dann das Schlagwort, und es geht – allgemein gesagt: um das Überschreiten der dem Menschen gesetzten Grenzen (hergeleitet vom Lateinischen »Trans«, im Deutschen: »über«, »hinaus«). Dabei steht der Begriff grundsätzlich für Vielgestaltiges und hat mit der biblischen Ewigkeitshoffnung von Paulus
natürlich nichts gemein. Will man Transhumanismus – indes stark verkürzt – auf einen Nenner bringen, könnte der lauten: »Wir erweitern die Grenzen des Menschenmöglichen, dank des Fortschritts
in Biologie, Medizin, Genetik, Informationstechnologien; wir überschreiten sie – bis hin zum ewigen Leben, zur Unsterblichkeit.« Altern ist nicht länger Bürde, sondern zu überwindende Krankheit.
Das Leitmotiv: Optimierung. Es geht um Verbesserung: um die Transformation des Menschen zu einer neuen, besseren Version seiner selbst.
Sehr viel mehr als etwa die Genetik oder die Biomedizin macht hier die Informatik von sich Reden: Namentlich von der Künstlichen Intelligenz wird dann in der Technologie sei Dank: Der Mensch, der sich selbst besser schuf boulevardesken Auseinandersetzung Entscheidendes erwartet. Transhumanistische »Gipfelstürmer« prognostizieren etwa eine künstliche Superintelligenz, die aufgrund der (weiterhin) exponentiellen Zunahme der Rechenkapazitäten dem Menschen bald in nicht nachvollziehbarem Maße überlegen sein werde. Eine solche Superintelligenz wäre tatsächlich aus der bisherigen technischen Entwicklung logisch ableitbar für die Zukunft – wie manch anderes aufmerksamkeitsheischendes Science-Fiction-Szenario auch. Oder nehmen wir als konkretes Beispiel etwa das sogenannte »Mind-Upload«- Szenario: Mittels Gehirn-Computer Schnittstellen werde das menschliche Bewusstsein auf digitale Speicher hochgeladen, wo es dann gleichsam »über Krankheit und Tod triumphiere«. Diese Annahme ist, wissenschaftlich kritisch betrachtet und freundlichst formuliert, mit Blick auf die »digitale Abbildbarkeit und Verstetigung des Bewusstseins«: bestenfalls unterkomplex.
Halten wir den Ball etwas flacher und betrachten jene Szenarien, die vergleichsweise plausibel scheinen, weil sie unsere Wirklichkeit schon heute formen bzw. erwartbar prägen werden – im Sinne eines moderaten »Real-Transhumanismus«. In unserem informationstechnologisch-digitalisierten Alltag, in dem wir es mit zumindest sprachlich »autonom« agierenden Maschinen, »intelligenten« digitalen Assistenten, »selbstfahrenden« Autos oder »mitdenkenden« Exoskeletten in der Produktion zu tun haben, sei der Transhumanismus schon allgegenwärtig, heißt es dann – jedenfalls in Trivialdebatten.
Was hier tatsächlich allgegenwärtig ist, ist allerdings etwas anderes: Algorithmen. Mögen sie auch noch so komplex und »lernfähig« sein, mögen künstliche neuronale Netze auch noch so »intelligent« erscheinen – es ist: Datenverarbeitung. Wenn ich Informationen digital speichere, wenn datenakkumulierende
Roboter menschliche Leistung simulieren und übertreffen, so ist dies technisch eine »reife Leistung« – mehr allerdings auch nicht.
Reflektiert man Anspruch und (An-) Forderungen des Transhumanismus im Kontext verfügbarer Technologien und der sich am Horizont andeutenden Fortschritte, wird seine fundamentale Schwäche, das Fehlen seiner unabdingbaren konzeptuellen Grundlage, schnell offenbar: Wo sind die Modelle, um das dem Menschen Wesenshafte – etwa Intelligenz, Humor, Emotionalität, Empathie, Persönlichkeit – überhaupt zu erfassen, zu beschreiben und abzubilden? Es gibt sie nicht! Bei allem technologischen
Fortschritt, aller künstlichen Intelligenz geht es ausschließlich um eines: um Leistung. Um die Übernahme von Arbeit, von Tätigkeiten, durch Informationstechnologien – sprich: Algorithmen. Der Mensch in all seiner komplexen Wesenshaftigkeit steht gar nicht zur Debatte. Anders gesagt: Es besteht ein eklatanter
Unterschied zwischen »Tun« und »Sein« – auch technologisch. Und nichts, aber auch gar nichts spricht derzeit dafür, dass dieser tatsächlich wesentliche Unterschied schwindet. Die von der künstlichen Intelligenz erledigten Aufgaben werden wohl komplexer – damit gleichwohl längst nicht wesenshafter.
Also: »Viel Lärm um Nichts«? Nein.
Denn sowohl unser Alltag als auch unser Denken und Streben handeln von: Optimierung, Verbesserung, Enhancement. Und das geht weit über Smart Watch, Biofeedback-Wearables und das instagram-geschwängerte »Quantified-Self« hinaus. Deshalb: Es sind drei Grundfragen dringlich für uns Menschen.
Erstens: Was? Worüber genau sprechen wir eigentlich? Was dringendst Not tut, ist: Differenzierung! Ob Trivialdebatten in Boulevardmedien oder anderweitige popularisierende und populistische Verkürzungen: Hier verschränken sich Unwissenheit und blinde Technikgläubigkeit oder vice versa Technikfeindlichkeit mit fatalen Konsequenzen. Medizintechnologie wie etwa ein Herzschrittmacher oder ein Hirnschrittmacher – der an bestimmte Nervenzellen einen Strom abgibt, wodurch Parkinson-Symptome
unterdrückt werden – ist keineswegs transhuman, sondern zutiefst menschlich. Der Patient bleibt seinem Körper und dessen Verhältnissen ausgeliefert. Gleiches gilt auch für viele weitere vorschnell als »Optimierung« postulierte Technologien; Netzhautimplantate für Sehgeschädigte, Handprothesen mit der
Fähigkeit zum Greifen oder auch eine künstliche Bauchspeicheldrüse. Es gilt, Technologie und ihren Einsatz zu verstehen und erst dann zu bewerten.
Zweitens: Für wen? Cui bono? Aus welchem Interesse und zu wessen Nutzen? Wenn wir die größten Schritte der Menschheit in Richtung Fortschritt gerade in Europa betrachten, dann ging es dabei stets auch um: den unverhandelbaren Wert jedes Menschen. Doch wenn heute Tech-Milliardäre von »mind-upload« sprechen, dann wissen wir auch ohne Elon Musk: Es geht jetzt um die Anliegen spezifischer Interessengruppen. Ökonomische Stärke, Silicon-Valley-Elite – wie auch immer wir es beschreiben
möchten: Es geht um die Unsterblichkeit einiger Weniger. Es fehlt der Blick auf die Menschheit – auf die Mühseligen, Beladenen, Leidenden; eine Hinwendung zum Menschen. Im transhumanen Weltbild erscheint er vor allem als mangelhafte und verbesserungsbedürftige Maschine. Im Grundsatz hat der Transhumanismus durchaus die Schlagkraft einer neu aufkeimenden Herrschaftsideologie; Faszination und Unterstützung findet er bei einflussreichen Unternehmern aus Robotik- und Internetwirtschaft, Politikberatern, Meinungsführern, Lehrstühlen – nicht nur im Silicon Valley. Sie alle, als Teil der Macht- und Geldeliten, eint die Suche nach Wegen, in erster Linie die eigene Unsterblichkeit sicher zu stellen. Die Idee des Transhumanismus dient dann dazu, Verantwortlichkeiten und Interessenslagen zu verschleiern.
Drittens: Wie damit umgehen? Wenn argumentiert wird, eine transhumanistische Umgestaltung sei »zwangsläufig«; sie läute quasi die nächste notwendige Entwicklungsstufe des Menschen ein, so ist dem zu begegnen mit Kultur- und Ideologiekritik und mit rechtlich-gesetzlichen Weichenstellungen. Politische Akteure und die gesamte Zivilgesellschaft sind aufgerufen: Es braucht Maßnahmen, Steuerungen und vor allem: Standpunkte. Es darf auch im Digitalen keine »rechtsfreien Räume« geben, die einigen Wenigen überlassen werden.
Zusammenfassend: Transhumanismus gilt zunehmend als Leitkonzept, wenn es darum geht, Grenzen und Bürden des Menschen zu überschreiten. Und eine definitive Grenze des Menschlichen ist, da sind wir uns sicherlich alle einig: der Tod. Gleichzeitig indes würden wir, bei genauerem Nachdenken, sicherlich unzählige Grenzen des Menschlichen benennen können: Krankheit und Schmerz, Dummheit und Ignoranz, Angst und Depression. Im Grunde genommen reicht es, sich einmal kurz umzuschauen in der
Welt: Nicht nur der körperliche Verfall des Einzelnen – nein, auch Kriege und Klimawandel zeigen sicherlich nicht zuletzt die Grenzen des Menschlichen. Und wäre es nicht interessant(er), mit jeglicher Fortschrittserzählung hier anzusetzen? Anders gesagt: Lassen Sie uns nicht verharren bei den Unsterblichkeitsphantasien einiger Weniger. Lassen Sie uns nicht zurückfallen hinter die wirklichen
Fortschritte der Menschheit und diese vielmehr auch zukünftig dazu nutzen dem von Gott geschaffenen Menschen zu dienen, statt ihn verbessert neu schaffen zu wollen.