Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

„offene Wirtschaft“ – „offene Gesellschaft“– christliche Werteordnung

von Hans-Jörg Naumer

Um die Demokratie ist es schlecht bestellt. Weltweit sind die „Autokratien“, wie Diktaturen beschönigend genannt werden, auf dem Vormarsch. Fast stellt sich die Frage, ob sich das historisch nur sehr kleine Zeitfenster dieser Staatsform bereits wieder schließt.

Aber auch in den Demokratien selbst gewinnt die politische Auseinandersetzung an Schärfe, nimmt die Lagerbildung zu, erodiert das Vertrauen in die Institutionen. Weniger als 50% der EU-Bürger sind laut Eurobarometer „sehr“ oder „etwas“ zufrieden damit, wie die Demokratie in ihren Ländern funktioniert. Pew Research stellt in seiner Umfrage, ein historisch niedriges Vertrauen in die US-Regierung fest, während gleichzeitig so- wohl die Polarisierung zwischen den Demokraten und Republikaner als auch innerhalb de beiden Häuser des Senats gem. voteview.com zugenommen hat.

Populistische Parteien gewinnen an Zulauf, an Abgeordnetenmandaten und an Regierungsbeteiligung. Zwar gibt es keinen klar abgegrenzten Begriff, wie genau populistische Parteien zu kategorisieren sind, in ihrer Auswertung der akademischen Literatur bringen es Guriev and Papaionnou1 sehr treffenden auf den Punkt, indem sie das Phänomen des Populismus nicht als Ideologie, sondern als Gesellschaftstheorie einordnen bei der es um „das wahre Volk“ („the pure people“) vs. „die korrupten Eliten“ gehe. Funke, Schularick und Trebesch2 unterscheiden weiter in einen linken und rechten Populismus. Während die Populisten von links die „ökonomischen Eliten“ als Feindbild hätten, ginge es ihren Seelenverwandten von rechts um „Ausländer“ und „Minderheiten“.

Wie aber lässt sich eine Demokratie stärken?

Wer den politischen Prozess als Ergebnis von Verteilungskonflikten versteht, die sich populistisch zugespitzt in einem „Wir“ gegen „Die“ äußern, für den heißt die ökonomische Antwort darauf, den Kuchen, den es zu verteilen gibt, zu vergrößern. Es geht um ökonomische Effizient in einer Zeit immer knapper werdender Ressourcen und zunehmender Disruption.

MEGA statt MAGA

Die Antwort lautet: MEGA statt MAGA. Es geht um „Make Europe Great Again“ statt eine Politik in Analogie zu „Make America Great Again“. Mache Europa im multipolaren Spiel der Kräfte größer und bedeutungsvoller, statt dass es in Nationalismen und Verteilungskämpfen zerrieben wird. Das geht eben nicht durch Abgrenzung, Zollschranken, und Mauerbau, nicht durch zentralstaatliches Handeln sondern durch Freiheit und Wettbewerb als Treiber von Innovation und ökonomischer Effizienz.

Oder ist es ein Zufall, dass die korruptesten Gesellschaften auch die diktatorischsten sind, wie der Vergleich des „Corruption Perceptions Index“ von Transparency International mit dem Demokratieindex des „Economist“ zeigt? Während ebenfalls gilt: Je korrupter, desto geringer ist das Pro-Kopf-Einkommen, je höher aber die wirtschaftliche Freiheit, desto niedriger die Korruption und desto höher der Wohlstand pro Kopf. Die wirtschaftliche Freiheit steht in einem engen Zusammenhang mit der Innovationskraft der Volkswirtschaften, und zeigt noch eine ganze Reihe anderer, positiver Zusammenhänge auf. Mit zunehmender ökonomischer Freiheit sinkt die Kindersterblichkeit, steigen Zufriedenheit gemäß „World Happiness Index“ und Pressefreiheit, nimmt der Grad demokratischer Freiheits- rechte zu, während Länder mit mehr demokratischen Rechten längere Lebenserwartungen ausweisen. Je wirtschaftlich freier aber ein Land, desto demokratischer ist es auch. Die „offene Gesellschaft“ (Karl Popper) braucht die „offene Wirtschaft“ – die Marktwirtschaft. Der Kreis schließt sich.

Tatsächlich sind die freieren Wirtschaften nicht nur die innovativeren, sondern auch die nachhaltigeren, wie der bereits zitierte Index wirtschaftlicher Freiheit der Heritage Foundation im Zusammenspiel mit dem Environmental Performance Index der Yale University zeigt.

Nur in der offenen Wirtschaft können sich die disruptiven Treiber der Veränderung schöpferisch entfalten. Eine Grundvoraussetzung, damit der Kuchen für alle größer und nicht kleiner wird.

Soziale Marktwirtschaft eine Erfolgsgeschichte wurde.4 Wie es gleich in der Einleitung der Denkschrift heißt, waren „Richtschnuren und Verbote, die sich nach unserem Glauben aus Gottes Wort für die Wirtschaft und ihre Ordnung ergeben“.5

Die Denkschrift war dabei nicht nur geprägt von der Frage, wie die wirtschaftliche Not nach dem Wahnsinn des 2. Weltkriegs und des Nationalsozialismus überwunden, sondern wie auch eine neue Machtkonzentration und ein daraus zu erwartender Machtmissbrauch verhindert werden kann. Geradezu paradigmatisch heißt es dann weiter: „Die Wirtschaftsordnung muß darauf angelegt sein, daß die Erfüllung der ersten 3 Gebote (lutherischer Zählung) nicht beeinträchtigt wird. Sie darf insbesondere nicht der Vergötzung irdischer Güter und Mächte dienen, der Gleichgültigkeit gegenüber dem Namen und dem Worte Gottes Vorschub leisten oder die Heiligung des Feiertags und den Gottesdienst behindern.“

Wer weniger Populismus und mehr Demokratie will, muss mehr Soziale Marktwirtschaft wollen. Es obliegt und, dass diese „Das Ende des Kapitalismus“ (Kapitalismus, hier nicht als diffuser Kampfbegriff, sondern vereinfachend für eine markt- wirtschaftliche Ordnung stehend) wäre geradezu ein Verstärker des Populismus, da durch ihn der Kuchen kleiner, die Verteilungskonflikte größer werden. Der Übergang zur Planwirtschaft (in der aktuellen Klimadebatte gerne etwas verschleiernd als „Kriegswirtschaft“ propagiert) wäre in aller Konsequenz auch das Ende der Demokratie.3

Während wir 75 Jahre Grundgesetz als Grundlage unserer „offene Gesellschaft“ feiern, sollte nicht vergessen werden, dass die Grundlage der „offenen Wirtschaft“, die Soziale Marktwirtschaft, bereits Ende 1942 gelegt wurden – durch die Freiburger Denkschrift. Sie wurde vom 17. – 19. November 1942 im Auftrag Dietrich Bonhoeffers in Vorbereitung einer Nachkriegswirtschaftsordnung (!) von einem kleinen Kreis christlich geprägter Freiburger Professoren verfasst. Die Anlage 4 zur Wirtschafts- und Sozialordnung sollte die Blaupause für das werden, was als Einbettung in ein christliches Wertesystem erfolgt, denn unverändert gilt das Böckenförde-Diktum: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“

Dr. Hans-Jörg Naumer
lebt und arbeitet als Volkswirt in Frankfurt. Neben zahlreichen Veröffentlichungen ist er auch (Mit-) Herausgeber zweier Bücher zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung und zur Vermögensbildungspolitik, sowie Autor des Essentials „Grünes Wachstum“.

  1. Guriev, Sergei, and Elias Papaioannou. 2022. „The Political Economy of Populism.“ Journal of Economic Literature, 60 (3): 753-832.
  2. Funke, Manuel, Moritz Schularick, and Christoph Trebesch. 2023. „Populist Leaders and the Economy.“ American Economic Review, 113 (12): 3249-88.
  3. Vgl. dazu Naumer, Hans-Jörg. 2023. „Grünes Wachstum“. Gabler Springer: 25-29
  4. Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer; „70 Jahre Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises“; 2015
  5. Die Anlage 4 der Denkschrift findet sich, auch als Diktalisat der Originalseiten finden sich auf der Homepage des AEU www.aeu-online.de.

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