Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Die Moral des homo oeconomicus aus biblischer und ökonomischer Sicht

Die marktwirtschaftliche Ordnung wurde von Philosophen und Theologen lange aus ethischer Sicht wegen des unterstellten Eigeninteresses (im liberalen Ansatz) kritisch hinterfragt. Aus verantwortungsethischer Sicht wird eine Wirtschaftsordnung gesucht, die menschen- und sachgemäß (Arthur Rich) ist. Biblisch gesehen kam ich einst zu dem Ergebnis, dass wir eine Wirtschaftsordnung für Sünder benötigen – was für eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung spricht. Sozialismus und Bürokratismus benötigen zum Funktionieren nämlich Heilige. Fehlende Sanktionen im Sozialismus führten dazu, dass der moralische Grenzgänger nicht mehr heroisch handelt. Denn keiner verhält sich stets gegen seine eigenen Interessen. Es fehlt nämlich ein Mechanismus, der Eigeninteressen in Gesamtinteressen transponieren kann.

Bei den Rahmenbedingungen wird verantwortungsethisch im Rahmen sozialethischer Analysen argumentiert. Wie lässt sich individualethisch das Verhalten des Einzelnen in einer Gesellschaft bewerten? Hierbei will ich nicht von der verkürzten Sichtweise des palaeo-homo oeconomicus ausgehen, sondern mehr vom modernen Ansatz eines neo-homo oeconomicus.

Der homo oeconomicus (h.o.) ist eine umstrittene Denkfigur in der ökonomischen Analyse. Rationalität und die Verfolgung des Eigeninteresses sind ihm unterstellte menschliche Eigenschaften, die zu Missverständnissen führen. Wirtschaftsethisch dient er als Analysekonstrukt zum Verständnis von speziellen Problemen – hauptsächlich bei der Analyse von Dilemmasituationen.

Nach dem Modell des h.o. passt sich der Mensch rational und eigeninteressiert an jeweilige Knappheitssituationen an. Sein Verhalten ist situationsabhängig – unterstellt wird aber stets eine Nutzenmaximierung. Es handelt sich um keine normativen Aussagen, sondern positive Aussagen zum menschlichen Verhalten, die aus der Beobachtung gewonnen wurden.

Dieser unterstellte methodologische Ansatz darf nämlich nicht das einzige Kriterium in der Theorie der Wirtschaftspolitik sein – darf aber auch nicht unberücksichtigt bleiben! „Wer nur an den Markt glaubt, ist abergläubisch.“

Nach Adam Smith wird der wirtschaftende Mensch durch das Gefühl der Sympathie (der Bruder in der Brust), durch die Kontrolle der anderen über Sitte und Moral und die Ordnung des Staates (Politik) in seinem Verhalten beeinflusst und auch beschränkt. Wichtig für die Wirtschaftspolitik ist die Beachtung der situativen Anreize. Es ist gefährlich, von einem falschen Menschenbild auszugehen. Die Annahmen zum h.o. entsprechen dem beobachtbaren Verhalten vieler Menschen. Eine Modellierung des menschlichen Verhaltens als solidarischer Akteur kann Wunschdenken sein – insbesondere unter Beachtung beobachtbarer dauerhafter Interessenskonflikte. Der Wohlstand aller hängt nicht vom Wohlwollen aller einzelnen ab – sondern von Anreizen, die für alle Beteiligten gelten.

Philosophen und Theologen haben das Denkmodell des h.o. oft wegen seines „Egoismus“ kritisiert. Menschen sollten aus Nächstenliebe handeln – und nicht nach Eigeninteressen. Gibt es dazu biblische Überlegungen? Sollten Christen nicht Vorstellungen des Solidarismus unterstützen (Pesch)?

Biblisch betrachtet kann ich die Kunstfigur des h.o. akzeptieren. Das Christliche findet sich in den Argumenten der Nutzenfunktion, in den Interessen, die der Mensch bei seinem Handeln verfolgt. Kosten-Nutzen-Überlegungen sichern effizientes Handeln, führen zu einem sparsamen Umgang mit Ressourcen, dürfen aber nicht Falsch-Richtig-Überlegungen verdrängen. M.E. kommt es auf die Zielfunktion an, die langfristig ausgerichtet sein muss. Ein Händler erleidet kurzfristig einen Verlust, um langfristig einen Kunden zu halten. Eine mir bekannte Familie bucht stets ein bestimmtes Hotel in Südtirol. Weil der Hotelier einmal großzügig bei einer kurzfristigen Absage war, hat die Familie schon mehr als 10-mal dort Urlaub gemacht.

Ein Christ fragt, was langfristig zählt. Er weiß etwas von dem Tag der letzten Verantwortung. Diese biblischen Vorstellungen können als Argument in die Nutzenfunktion aufgenommen werden. Ein Unterschied kann darin gesehen werden, dass der Christ seine Interessen normativ ableiten kann. Jesus sagt den Zöllnern, sie sollen nicht korrupt sein, nicht mehr nehmen, als vorgeschrieben ist, und Soldaten sollen sich mit dem Sold begnügen. In einem Beispiel fordert Jesus zur Klugheit auf. Wer einen Turm bauen will, soll die Kosten überschlagen. Außerdem gibt es viele soziale Rechtsvorschriften im AT, die ebenfalls im wirtschaftlichen Handeln zu beachten sind.

Der h.o. reagiert auf Anreize. In Anlehnung an David Riesman (Die einsame Masse: The lonely crowd, 1950) können diese Anreize von außen (outer-directed) oder von innen kommen (inner-directed) oder auch aus der Tradition folgen. Der h.o. ist außen-geleitet, der Christ in der Wirtschaft ist innen-geleitet. Der Beitrag christlicher Ökonomik könnte darin liegen, die Entstehung, Weitervermittlung und Begründung von Zielen sowie Interessen zu analysieren. Das Handeln wird dann nach den Vorstellungen des neo-homo oeconomicus verstanden werden können. Das besonders Christliche ist – individualethisch gesehen – die Herkunft und Begründung der unterstellten Ziele in der Nutzenfunktion. Sozialethisch gesehen bleibe ich bei der Behauptung, dass eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung auch aus ökonomischen Gründen (Sanktionsmöglichkeiten und Freiheitsaspekt) mit biblischen Vorstellungen vereinbar ist.

Geschichtlich gesehen haben Christen/Gottesgläubige unter unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen leben müssen. Joseph, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde, hat dort Karriere gemacht und als Vertreter des Pharaos sogar (im Auftrag Gottes) eine planwirtschaftliche Ordnung durchgesetzt, in welcher alles Landeigentum schließlich dem Pharao gehörte. Individualismus ist in die neoklassische Analyse (Mikroökonomik) aufgenommen worden.

Die unterstellte Wertfreiheit der Wirtschaftstheorie widerspricht einer normativen Analyse. Wirtschaftspolitische Analysen benötigen aber Ziele und damit Werte. Die Kunstfigur des h.o. stellt kein Menschbild im Sinne der Philosophie dar. Jedoch kann ein falsches Menschenbild gravierende Folgen für wirtschaftspolitische Maßnahmen haben. Daher ist zu fragen, ob der h.o. als Hintergrund wirtschaftspolitischer Analysen brauchbar ist.

Einige Bemerkungen zu den Motiven des modernen h.o.:

  • Da der h.o. als Handelnder auftritt, muss er etwas erstreben (Interessen verfolgen). Seine Motive werden dabei nicht hinterfragt. Seine „Nutzenfunktion“ wird als gegeben unterstellt und kann auch Altruismus und Nächstenliebe als Argumente enthalten. Nutzen bedeutet, dass der h.o. etwas als erstrebenswert ansieht, das sein tatsächliches Handeln bestimmt. Das Ziel „Nutzen“ kann alle menschlichen Handlungsziele einschließen. Es wird also beim h.o. sinnorientiertes Handeln unterstellt.
  • Woher die Nutzenvorstellungen des h.o. stammen und wie sie ihm vermittelt werden, wird nicht untersucht. Sie werden als gegeben angenommen. Allein das Handeln mit dem Ziel, bestimmte Interessen zu verfolgen, ist entscheidend.
  • Der h.o. muss aber etwas wollen – und zwar konsistent. Sein Verhalten muss nicht „kalt, zweckrational, gefühllos, egoistisch und kalkulierend“ sein. Er kann auch ehrenwerte Ziele verfolgen. Die Ziele werden nicht hinterfragt. Er mag sich auch irren, da sein Verhalten von vorhandenen Informationen abhängig ist.
  • Ausgeschlossen wird „widersprüchliches Verhalten“, da Dummheit nicht analysiert werden kann, da „mit ihr schon die Götter vergebens kämpfen“. Der Sinn der Moral liegt nun darin, die Handlungen der Menschen abschätzen zu lassen! Der h.o. handelt entsprechend seiner Zielsetzung und aufgrund der verfügbaren Informationslage. Woher er die Informationen bekommt, bleibt offen.

Die Kunstfigur des h.o. ist eigentlich inhaltsarm und formal. Sie erlaubt eine werturteilsfreie ökonomische Theorie. Allerdings lässt sie keinen Raum für Verantwortung. Im Grunde genommen ist der neo-homo oeconomicus ein homo reciprocans. Empirische Studien (Falk) haben festgestellt, dass Menschen kooperieren, wenn andere auch kooperieren. Fühlt der Mensch sich jedoch hintergangen, dann wird er sanktionieren (soweit er es kann). Der Wettbewerbsmechanismus erlaubt eine Sanktionierung und würde die These des homo reciprocans unterstützen.

Die Ziele des h.o. werden als gegeben angesehen – aber sie werden gesellschaftlich geprägt. Gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen seine Präferenzen, die eben „nicht vom Himmel fallen“. Seine Ziele will er im Zusammenwirken mit anderen zu seiner Selbstverwirklichung verfolgen. Somit kann er seinen individuellen Nutzen nur über den Umweg des sozialen Nutzens für andere erreichen („Der wahre Egoist kooperiert!“). Kurzfristiger Vorteilsverzicht, um sich langfristig aus der Kooperation Vorteile zu sichern, ist für den h.o. rational.

Ist die Kunstfigur des h.o. wirtschaftspolitisch brauchbar? Dort wird „Pareto-Optimalität“ unterstellt. Umverteilungen benötigen aber Werturteile. Das Pareto-Optimum hat seinen Wert, wenn bestimmte soziale Voraussetzungen vorliegen. Einem Wohlhabenden etwas zu nehmen, um damit einem Hungernden das Leben zu retten, ist zwar nicht Pareto-optimal – aber entspricht dem Gerechtigkeitsempfinden vieler. Die Effizienz darf nämlich nicht das einzige Kriterium in der Theorie der Wirtschaftspolitik sein – darf aber auch nicht unberücksichtigt bleiben! „Wer nur an den Markt glaubt, ist abergläubisch.“ Nach Adam Smith wird der wirtschaftende Mensch durch das Gefühl der Sympathie (der Bruder in der Brust), durch die Kontrolle der anderen über Sitte und Moral und die Ordnung des Staates (Politik) in seinem Verhalten beeinflusst und auch beschränkt.

Wichtig für die Wirtschaftspolitik ist die Beachtung der situativen Anreize. Es ist gefährlich, von einem falschen Menschenbild auszugehen. Die Annahmen zum h.o. entsprechen dem beobachtbaren Verhalten vieler Menschen. Eine Modellierung des menschlichen Verhaltens als solidarischer Akteur kann Wunschdenken sein – insbesondere unter Beachtung beobachtbarer dauerhafter Interessenskonflikte. Der Wohlstand aller hängt nicht vom Wohlwollen aller einzelnen ab – sondern von Anreizen, die für alle Beteiligten gelten.

Philosophen und Theologen haben das Denkmodell des h.o. oft wegen seines „Egoismus“ kritisiert. Menschen sollten aus Nächstenliebe handeln – und nicht nach Eigeninteressen. Gibt es dazu biblische Überlegungen? Sollten Christen nicht Vorstellungen des Solidarismus unterstützen (Pesch)?

Biblisch betrachtet kann ich die Kunstfigur des h.o. akzeptieren. Das Christliche findet sich in den Argumenten der Nutzenfunktion, in den Interessen, die der Mensch bei seinem Handeln verfolgt. Kosten-Nutzen-Überlegungen sichern effizientes Handeln, führen zu einem sparsamen Umgang mit Ressourcen, dürfen aber nicht Falsch-Richtig-Überlegungen verdrängen.

M.E. kommt es auf die Zielfunktion an, die langfristig ausgerichtet sein muss. Ein Händler erleidet kurzfristig einen Verlust, um langfristig einen Kunden zu halten. Eine mir bekannte Familie bucht stets ein bestimmtes Hotel in Südtirol. Weil der Hotelier einmal großzügig bei einer kurzfristigen Absage war, hat die Familie schon mehr als 10-mal dort Urlaub gemacht.

Ein Christ fragt, was langfristig zählt. Er weiß etwas von dem Tag der letzten Verantwortung. Diese biblischen Vorstellungen können als Argument in die Nutzenfunktion aufgenommen werden.

Ein Unterschied kann darin gesehen werden, dass der Christ seine Interessen normativ ableiten kann. Jesus sagt den Zöllnern, sie sollen nicht korrupt sein, nicht mehr nehmen, als vorgeschrieben ist, und Soldaten sollen sich mit dem Sold begnügen. In einem Beispiel fordert Jesus zur Klugheit auf. Wer einen Turm bauen will, soll die Kosten überschlagen. Außerdem gibt es viele soziale Rechtsvorschriften im AT, die ebenfalls im wirtschaftlichen Handeln zu beachten sind.

Der h.o. reagiert auf Anreize. In Anlehnung an David Riesman (Die einsame Masse: The lonely crowd, 1950) können diese Anreize von außen (outer-directed) oder von innen kommen (inner-directed) oder auch aus der Tradition folgen. Der h.o. ist außen-geleitet, der Christ in der Wirtschaft ist innen-geleitet. Der Beitrag christlicher Ökonomik könnte darin liegen, die Entstehung, Weitervermittlung und Begründung von Zielen sowie Interessen zu analysieren. Das Handeln wird dann nach den Vorstellungen des neo-homo oeconomicus verstanden werden können. Das besonders Christliche ist – individualethisch gesehen – die Herkunft und Begründung der unterstellten Ziele in der Nutzenfunktion. Sozialethisch gesehen bleibe ich bei der Behauptung, dass eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung auch aus ökonomischen Gründen (Sanktionsmöglichkeiten und Freiheitsaspekt) mit biblischen Vorstellungen vereinbar ist.

Geschichtlich gesehen haben Christen/Gottesgläubige unter unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen leben müssen. Joseph, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde, hat dort Karriere gemacht und als Vertreter des Pharaos sogar (im Auftrag Gottes) eine planwirtschaftliche Ordnung durchgesetzt, in welcher alles Landeigentum schließlich dem Pharao gehörte.

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Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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