Wer die Werbung ansieht, wird mit wohlmeinenden Informationen förmlich bepfeffert. Crèmes versprechen eine geschmeidige Haut und Schönheit, bestimmte Früchte verheißen langes Leben und Gesundheit, die Auswahl an Pillen für ein glückliches Leben ist immens, eigentlich dürfte keiner mehr krank sein. Natürlich werden nur die positiven Eigenschaften der Produkte genannt. Motorräder werden mit riesiger Freude gefahren; tolle Kleidung reizt Männer zu Liebesschwüren und Versicherungen versprechen Absicherung des Glücks bis ins Alter. Die Werbeindustrie gibt sich große Mühe. Aber wie wahrhaftig ist die Werbung?
Werbung muss wirken, zumindest kurzfristig. Es ist zu vermuten, dass leider nicht alles wahr ist, was in der Werbung suggeriert wird. Sport- und Filmgrößen verraten, was sie kaufen und der einfache Bürger hätte auch gerne einmal das tolle Gefühl, diese Dinge zu besitzen. Ob diese Größen diese Produkte wirklich nutzen?
Die Werbeindustrie boomt und schafft erstaunliche Anreize. Die Menschen wollen anscheinend betrogen werden und sie werden verführt. Mich nervt allerdings mittlerweile die penetrante Werbung und ich kaufe das angebotene und beworbene Produkt dann extra nicht. Werbung hat auch im Fernsehen eine (zu!) hohe Priorität. Kommt eine Sportveranstaltung zeitlich mit den Nachrichten in die Quere, dann werden die Nachrichten gekürzt – aber die Werbesendung erscheint dann insgesamt länger als der Nachrichtenteil. Und das obwohl ich fürs Fernsehen bezahlen muss und mich nicht gegen zu viele Werbesendungen wehren kann.
Wahrhaftigkeit hat abgenommen. Verwiesen sei auf kriminelle Anrufe mit Versprechungen, die günstige Produkte anbieten, sich bezahlen lassen, und nie liefern. Ahnungslos fallen Bürger auf Betrüger herein und haben plötzlich einen lang laufenden Vertrag am Hals. Wo beginnt der Betrug? Was ist noch seriöse Werbung? In der Bibel heißt es einmal: Ein Ja sei ein Ja und ein Nein sei ein Nein; alles andere ist von Übel. Leider wird es mit der Wahrheit und Wahrhaftigkeit nicht mehr genau genommen. Und das nicht nur in der Werbung!
Die fehlende Ethik ist ein großes Problem in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden. Was gehört eigentlich zu einer ethischen Entscheidung? Meines Erachtens gehören die folgenden Punkte dazu.
- Die genannte Wahrhaftigkeit,
- Eine Abwägung der einzelnen Lösungsmöglichkeiten,
- in verantwortliches Handeln – aber vor wem verantwortlich? Volk? Gott?
Vor ca. 40 Jahren, so erinnere ich mich, wurde das Kindergeld erhöht. Bei der Erstellung meiner Steuererklärung suchte ich im Formular den bisher abzugsfähigen Pauschbetrag für die Kinderbetreuung. Ich rief bei der Finanzverwaltung an und fragte, wo er geblieben sei. Antwort: Dafür haben Sie doch jetzt ein höheres Kindergeld. Das Mehr wurde an anderer Stelle gestrichen, davon war in den Me- dien nichts zu hören. Oder: Großartig verkündet ein Minister, dass 1.000 neue Lehrer eingestellt werden, aber die An- zahl der Lehrer, die in Pension gehen, werden wohl nicht gegengerechnet. Kein Zeichen der Wahrhaftigkeit – nur mehr politische Werbung? Könnte man über solche Äußerungen nicht misstrauisch werden?
Was wurde nicht alles bei Finanzanlagen verschwiegen! Sicherheit wurde vorgegaukelt; Bilanzen wurden gefälscht, kürzlich wieder bei Wirecard, schon vorher bei vielen großen Konzernen. Störend empfinde ich Anrufe mit dem Inhalt „Sie haben gewonnen“ und dann soll nur ein Abbo abgeschlossen werden – obgleich das Gespräch damit begann, dass der Angerufene unter den letzten Zehn für einen gewonnenen PKW sein soll und der Anrufer nur wissen wollte, welche Marke des PKW erwünscht sei. Manch- mal frage ich mich, ob solche Personen, die diese Anrufe tätigen, keine Gewissensbisse mehr kennen. Oder eine Mädchenstimme weint: „Papa, ich habe einen Menschen überfahren, hilf mir. Ich brauche eine Kaution.“ Als ich einmal sagte: „Da musst Du nächstens besser aufpassen“, sagte diese Stimme nur: „Du Arschloch!“ und legte auf.
Solche Erfahrungen machen Menschen misstrauisch. Auf wen und was kann man sich noch verlassen? Man traut dem anderen nicht mehr so leicht. Während in früheren Zeiten ein Handschlag einen Vertrag unter Geschäftsleuten besiegelte, braucht man heute (etwas übertrieben) mehrere Rechtsanwälte, um ihn juristisch sicher zu formulieren.
In diese Aufstellung gehören auch die Vertrauenskrisen bei der Deutschen Bank oder die Abgasskandale deutscher Autohersteller. Man hätte gewarnt sein können. Es gab nach den Skandalen jeweils Krokodilstränen und hehre Worte – aber es änderte sich nichts. „Das Herz des Menschen ist böse, von Jugend auf“n(1. Mose 8,21), steht schon auf den ersten Seiten der Bibel. Das „Böse“ beinhaltet auch den Betrug und die Ausbeutung durch die Wohlhabenden. Es wird sich auch in Zukunft nichts ändern – es sei denn, wir bekommen einen neuen Menschen. Den wollten schon die sozialistischen Staaten schaffen – was aber nicht gelang.
Dazu kommen Korruptionsgefahren bei Politikern. „Des Geldes wegen haben schon viele gesündigt“ sagt die Bibel (Sirach 27,1). Es fehlen für das politische System als Ganzes positive Anreize. Beispielsweise könnte man finanzielle Nebentätigkeiten der Abgeordneten generell verbieten (um die Korruptionsgefahr einzudämmen) und dafür die Diäten erhöhen. Die Diäten könnten außerdem von bestimmten Erfolgsindikatoren ab- hängig gemacht werden, wie von der Höhe der Quote der Arbeitslosigkeit. Politiker hätten einen persönlichen Anreiz, sich für bestimmte politische Ziele ein- zusetzen, da sie davon auch persönlich einen Nutzen haben (ohne Korruption). Bei hoher Arbeitslosigkeit gibt es eine Diätenkürzung, dann hätten Politiker ein Interesse daran, Arbeitslosigkeit langfristig zu bekämpfen. Ähnliches könnte für das Staatsschuldenproblem angedacht werden.
Die Korruption von Führungskräften kann mit dem ökonomischen Modell des „Prinzipal-Agenten“ (principal agent) analysiert werden. Das Principal-Agent- Problem zeigt die Kollision der Interessen des einzelnen Funktionsträgers mit dem übergeordneten Interesse des Auftraggebers. So ist beispielsweise der Wähler der Auftraggeber (Prinzipal) und der Politiker ist der für den Wähler handelnde Agent. In einer Firma handelt das Management im Auftrag der Eigentümer. Das sich hierbei ergebende Problem entsteht bei der Festlegung der Vertragsregeln. Dem Auftraggeber ist es meist nicht möglich, den Agenten zu überwachen. Der Agent hat also einen bestimmten Freiheitsspielraum. Die Regeln müssen nun so gesetzt werden, dass das Interesse des Agenten dahin gelenkt wird, im Sinne des Prinzipals zu handeln. Da- her werden Anreize notwendig. Solche Anreize bestehen dann in bestimmten Aktienoptionen, Tantiemen, Gewinnbeteiligung usw. Hiermit möchte man erreichen, dass das Interesse des Auftraggebers auch vom Agenten beachtet wird. Vollständig abgesicherte Verträge sind jedoch nicht möglich. Und aus diesem Grunde ist Vertrauen notwendig. Hätte der Prinzipal einen vertrauenswürdigen Agenten, dann könnte er sich darauf verlassen, dass der auch in seinem Sinn bestmöglich handelte und den Prinzipal nicht hinterginge.
Der Sittenverfall zu vieler Führungskräfte in großen Kapitalgesellschaften deutet demzufolge zweierlei an: Die individuelle Moral, das Vertrauen, die Zuverlässigkeit, haben nachgelassen. Auf der anderen Seite besteht der Verdacht, dass die Rahmenbedingungen nicht optimal gestaltet waren. Es muss noch einmal betont werden, dass die moralischen Missstände der Führungsetagen in Wirtschaft und Politik sich kaum durch moralische Appelle überwinden lassen, sondern höchstens nur durch institutionelle Reformen.
Im Gegensatz zu den großen Konzernen unterliegt der Mittelstand kaum dem Prinzipal-Agenten-Problem. Der Mittelständler ist im Allgemeinen auch Eigentümer seines Unternehmens, ist damit Prinzipal und Agent zugleich. Daher gibt es im Mittelstand in einem viel geringeren Maße innerbetriebliche Korruption. Es war m. E. ein falscher Weg, die großen Personengesellschaften vor längerer Zeit in Kapitalgesellschaften umzuwandeln, damit sie leichter Zugang zur Börse hätten und somit einfacher an finanzielle Mittel zur Expansion kommen könnten. Dies hat das Prinzipal-Agenten-Problem in der Wirtschaft erhöht.
Es gehört mehr Intelligenz dazu, langfristig erfolgreich zu investieren, als kurzfristige Schnäppchen zu machen. Jedoch haben die kurzfristigen wirtschaftlichen Entscheidungen langfristige Wirkungen, wobei erfolgreiche Spekulation langfristig ausgleichend wirken kann.
Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Probleme, die durch die Skandale in der Wirtschaft und Politik hervor- gerufen werden, lassen sich nicht durch Moral in der Politik lösen. Das Eigeninteresse ist meist stärker als die moralische Integrität. Regeln müssen so geändert werden, dass der Betreffende eben nicht zu seinem eigenen Vorteil die Rahmenbedingungen festlegen kann. Wer beschränkt schon freiwillig seine Handlungsmöglichkeiten? Transparenz und Wettbewerb sind notwendig, um zu einem besseren moralischen Verhalten zu führen. Eine ständige Ausrichtung des Einzelnen auf seinen GOTT, Schöpfer und Richter kann der Gesinnungsethik aber mehr Gewicht geben.
Das ethische Verhalten könnte dadurch beeinflusst werden. Ein Christ müsste sich langfristig optimal verhalten. In seinem Verhalten ist er nicht nur als Agent dem Prinzipal verantwortlich, sondern GOTT als Schöpfer ist der letzte Prinzipal, der keine Überwachungsprobleme kennt. Wenn ein Mensch sich in Verantwortung seiner wirtschaftlichen Entscheidungen von seinem Gewissen prägen lässt, müsste es eigentlich auch einen inneren Anreiz geben zum normengerechten Verhalten und dort, wo die Rahmenbedingungen unklar sind, sich im gesamtwirtschaftlichen Interesse zu verhalten.
Die negative Erfahrung hinsichtlich der Wahrhaftigkeit der Menschen scheint schon alt zu sein. Dem römischen Statthalter Pilatus bezeugte Jesus, dass er von der Wahrheit zeuge. Darauf fragte schon damals Pilatus: Was ist Wahrheit? Und Jesus bezeugt: „Ich bin die Wahrheit“! Die Wahrheit ist aus christlicher Sicht eine Person, nicht nur die Übereinstimmung zwischen Aussage und Wirklichkeit wie im griechischen Wort Άλήθεια, das soviel bedeutet wie „sagen, wie es ist“. Daher müssten Christen auch in der Wahrheit wandeln. Doch was ist Wahrheit? Wie wandelt man wahrhaftig?
Man gewinnt den Eindruck, dass die Wahrheit bald per Gesetz oder EU-Verordnung festgelegt wird. Jahrhunderte alte Überzeugungen werden überraschend schnell verpönt und seltsame Überzeugungen nehmen Überhand. Und keiner lacht? Dazu gehören m. E. auch das Gendern und die seltsame Regelung, dass sich Menschen alle Jahre ein neues Geschlecht geben können. Wie sinnvoll ist eine solche Personaleintragung (wenn es nicht das natürliche Geschlecht ist, das sich nicht verändern lässt), wenn es jähr- lich geändert werden kann?
In der Bibel ist davon die Rede, dass Gott gegen Ende der Zeiten „kräftige Irrtümer“ (Luther) senden werde. „Darum sendet ihnen Gott kräftige Irrtümer, dass sie der Lüge glauben“ (2. Thessalonicher 2,11). Im Römerbrief (Kap. 1,22) schreibt Paulus „Die sich für weise hielten, sind zu Narren geworden. … Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften (V.26) ….Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrtem Sinn, so dass sie tun, was nicht recht ist…“ (V. 28). Der Mensch vertraut der Vernunft! Die Herrschaft der Vernunft in Frankreich (frz. Revolution) führte bekanntlich zum schrecklichen Morden. Das politische Ergebnis war anschließend eine Diktatur (Napoleon). Martin Luther dagegen sah die Ratio kritisch und bezeichnete den Verstand als die Hure des Teufels. Die Vernunft, so Luther, ist ein käufliches Frauenzimmer.
Auch die Vernunft (Ratio) unterliegt den Folgen des Sündenfalls. Wir können uns nicht auf sie verlassen – obgleich uns Gott damit ein überzeugendes und großartiges Analyseelement geschenkt hat. Aber auch die Ratio braucht einen Fixpunkt. Sie muss irgendwo verankert sein, wenn sie nicht im luftleeren Raum schweben will. Wir brauchen eine Wiederbesinnung auf Gottes Wort. Der Mensch hat sich wieder selber auf den Thron gesetzt und wird scheitern. Auch die Vernunft ist korrumpierbar und auf sie ist nicht unbedingt Verlass.
Der Psalmist drückt dies in einem bekannten Psalm so aus: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, … noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über sein Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen … Und was er macht, das gerät wohl.“ (Psalm 1, 1.2).
Es täte gut, wenn in Deutschland wieder mehr Verantwortungsträger sich nach den bewährten Geboten Gottes ausrichten und sie begreifen würden, dass sie sich einmal für ihr Tun vor dem unbestechlichen Richter, vor Gott, verantworten müssen. Bekanntlich ist der Mensch weise, wenn er sein Handeln vom Ende her denkt, wie schon Mose sagte; „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90,12 – Luther).
Dies lässt sich aber nicht verordnen oder politisch durchsetzten. Hier sind Kirchen und christliche Gemeinden gefragt, Je mehr wirkliche Christen in einer Gesellschaft leben, desto höher müsste der Grad der Wahrhaftigkeit in der Gesellschaft sein. Christen könnten eine Vorbildfunktion übernehmen. Durch die Übergabe vieler Menschen an Jesus Christus (die Bibel spricht von einem neuen Menschen) gäbe es unbeabsichtigte positive Nebenwirkungen für die Gesellschaft. Auch daher sollten wir Christen evangelistischer wirken.
Prof. Dr. h.c.Werner Lachmann Ph.D. – war Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Gründer und seit 2017 Ehrenvorsitzender der GWE.