Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Ökonomische Bildung fördern – Ungleichheit verringern – Demokratie stärken

MEINUNG
von Dr. Hans-Jörg Naumer

Um die ökonomische wie auch die finanzielle Bildung ist es schlecht bestellt in Deutschland. Anekdotisch wird immer wieder eine junge Frau zitiert, die meinte, sie könne mit ihrem Abitur zwar eine Gedichtinterpretation in vier Sprachen durchführen, wisse aber nicht, was sie bei einem Mietvertrag für ihre Studentenwohnung zu beachten habe.

Das Anekdotische ergänzt sich mit der groß angelegten Befragung der OECD zur Finanzkompetenz in Deutschland. Nur 52 % der erwerbstätigen Erwachsenen fühlen sich mit ihren Finanzplänen für die Altersvorsorge gut aufgestellt. Auch die Nutzung von Krediten ist nicht problemlos. 8 % der Bevölkerung sind überschuldet. 600.000 nehmen eine Schuldnerberatung in Anspruch (BMF 2024). Dazu kommt: Die ohnehin finanziell vulnerableren Gruppen werden durch fehlende ökonomische Bildung benachteiligt (Lusardi und Mitchell 2023), was die OECD-Studie ebenfalls belegt (OECD 2024).

Die Selbsteinschätzung gerade von Jugendlichen ist dabei geradezu erschreckend realistisch. Wie die Umfrage des Bankenverbands (Bankenverband 2024) zeigt, geben 80 % der 14- bis 24-Jährigen an, in der Schule nichts (40 %) oder so gut wie nichts (40 %) über Wirtschaft und Finanzen zu lernen bzw. gelernt zu haben. 82 % der 14- bis 24-Jährigen können die ungefähre Höhe der Inflationsrate nicht benennen, geschweige denn ihre Wirkung einschätzen.

Eine Studie des Zentrums für Ökonomische Bildung an der Universität Siegen (ZÖBIS) kommt zu dem Schluss, dass ökonomischer Sachverstand an deutschen Schulen nur ungenügend vermittelt wird. Das Ergebnis stützt sich auf die Analyse von 40 Schulbüchern der Fächergruppen Wirtschaft, Wirtschaft-Politik, Geschichte und Geografie. So käme, laut der Studie, unternehmerisches Denken und Unternehmerpersönlichkeiten nur flüchtig vor, Globalisierung werde vor allem aus negativer Perspektive betrachtet. Das Manko erkläre sich auch damit, dass die Bücher von Pädagogen, nicht aber von Wirtschaftswissenschaftlern geschrieben würden (Goldschmidt, Kron, Rehm 2024).

Wer aber zu wenig von den eigenen Finanzen und der Wirtschaft versteht, wie will der die eigene Vermögensbildung richtig anpacken? Tatsächlich zeigt Holzhausen (2024), dass die Deutschen für ihr Geld arbeiten, statt es für sich arbeiten zu lassen. Während bei anderen Nationen das Geldvermögen hauptsächlich mit der Rendite der Kapitalanlage wächst, hat diese bei den deutschen Sparern nur einen geringen Einfluss auf das Vermögenswachstum. Die Zuwächse kommen hauptsächlich aus Ersparnissen. Dabei ist es die Risikoprämie (Ibbotson und Chen 2003), jene zu erwartende Mehrrendite von Aktien gegenüber Anleihen, welche auf mittlere Sicht die höheren Risiken kompensiert, die sich massiv auf die Vermögensbildung auswirkt. Bei langen Ansparzeiträumen (Stichwort: Altersvorsorge) wirkt die Mehrrendite in Verbindung mit dem Zinseszinseffekt dabei ganz besonders stark.

Wenn aber nur ein kleiner Teil der Bevölkerung – das Deutsche Aktieninstitut geht von etwas über 12 Millionen aus – Aktien besitzt, und der Großteil des Geldvermögens, gemäß der Statistiken der Deutschen Bundesbank, in Bankeinlagen und Anleihen geparkt ist, muss man sich nicht über die Vermögensungleichheit wundern. Thomas Piketty aus etwas anderer Sicht interpretiert, bedeutet: Die Risikoprämie ist der eigentliche Treiber der Ungleichheit (Naumer 2024).


Ökonomische Bildung ist systemrelevant

Und spätestens über die Ungleichheit wird die ökonomische Bildung gesellschaftspolitisch relevant. Loerwald (2024) vom Institut für Ökonomische Bildung ist zuzustimmen: „Wer nichts weiß, muss alles glauben.“ Finanzielle wie ökonomische Bildung sind eine wichtige Voraussetzung für Teilhabe und (politische) Mündigkeit. Wer seine Finanzen nicht versteht, von dem kann kaum erwartet werden, dass er richtig investiert. Wer ökonomische Grundfragen nicht kritisch durchdenken kann, wird ein leichtes Opfer für (wirtschafts-)politischen Populismus.

Damit aber wird ökonomische Bildung relevant für unsere Demokratie. Wie kann jemand ein politisches Urteil fällen, wenn er die ökonomischen Konsequenzen nicht versteht? Ökonomische Bildung hilft, Vermögen zu bilden, Ungleichheit zu senken und unsere Demokratie zu stärken. Sie ist systemrelevant und gehört deshalb in die Curricula der Schulen. Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen wünscht dies auch. 92 % der Jugendlichen, so die Umfrage des Bankenverbands, wollen mehr Wirtschafts- und Finanzwissen in der Schule. 86 % sprechen sich für ein Schulfach aus, in dem Finanz- und Wirtschaftsthemen unterrichtet werden. Sie sollten nicht enttäuscht werden.


Literatur:

  • Bankenverband (2024). Jugendstudie 2024: Finanzbildung mit Defiziten. Zuletzt abgerufen am 9.12.2024
  • Bundesministerium der Finanzen (2024). BMF-Monatsbericht Mai 2024. Zuletzt geprüft: 9.12.2024
  • Goldschmidt, N., Kron, R., Rehm, M. (2024). Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern.
  • Holzhausen, A. (2024). Das Vermögen der Deutschen und ihr Sparverhalten im internationalen Vergleich. In: H.-J. Naumer (Hrsg.), Vermögensbildungspolitik. Wiesbaden: SpringerGabler.
  • Ibbotson, R., Chen, P. (2003). Long-Run Stock Returns: Participating in the Real Economy. Financial Analyst Journal, 88–98
  • Loerwald, D. (2024). „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ – Finanzielle Bildung als Beitrag zur Mündigkeit.
  • Lusardi, A., Mitchell, O.S. (2023). The Importance of Financial Literacy: Opening a New Field. Journal of Economic Perspectives
  • Naumer, H.J. (2024). Zwischen „Arm“ und „Reich“ – die Risikoprämie als vergessene Größe in der Verteilungsdebatte. In: Vermögensbildungspolitik, Springer

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Die neusten Beiträge

Über uns

Die Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik ist ein eingetragener Verein zur Förderung von Forschung und Lehre in den Wirtschafts- wissenschaften auf der Grundlage einer Ethik, die auf dem biblischen Welt- und Menschenbild beruht.

Kontaktieren Sie uns
Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik e.V.

Prof. Dr. Christian Müller

Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Scharnhorststr. 100
48151 Münster

E-Mail: info[a]wirtschaftundethik.de

oder   christian.mueller[a]wiwi.uni-muenster.de

Tel.: (02 51) 83 – 2 43 03/ -2 43 09

© 2025 Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik e.V. – website by yousay

Impressum   –     Datenschutz