Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Ein Vaterunser für die Corona-Wirtschaft

Führe uns nicht in Versuchung! Das gilt auch für die Wirtschaftspolitik. Die sollte sich jene Zeile aus dem Vaterunser zu Herzen nehmen. Der Corona-Politik zwischen Zwang, Öffnung, Impf(stoff)- und Testdesaster fehlt jede ökonomisch vernünftige Strategie. Das birgt mittelfristig Gefahren für unsere Volkswirtschaft. Denn ökonomischer Erfolg hängt wesentlich an Vertrauen und Verlässlichkeit. Der Sachverständigenrat hat im November 2020 eine BIP-Prognose von 5,1 % in 2020 und +3,7 % in 2021 festgelegt. Das Vorjahreskrisenniveau wird wohl erst wieder 2022 erreichbar sein. Es in der Krisenbewältigung die konsequente Orientierung an einer wirtschafts- und ordnungspolitischen Grundidee. Das Herumstochern im Nebel virologischer oder soziologischer Expertisen und das Buhlen um Beliebtheitswerte prägt ein konfuses Bild im föderalistischen Flickenteppich und zerstört viel Vertrauen. Eine Orientierung an der jüngsten Studie der Charité zu tatsächlichen Hotspots der Ansteckung wäre für ein transparentes Öffnungsszenario viel glaubwürdiger. Stattdessen wächst der Eindruck, dass es vor allem um populäre Manöver statt um wirtschaftspolitische Vernunft geht. Nur wenige Politiker legen den Finger in die Wunde und mahnen, aktuelle Politik sollte sich wieder konsequent an den Grundwerten Sozialer Marktwirtschaft orientieren. Etwa NRW-Minister Karl-Josef Laumann stellte neulich bei einer Online-Diskussion der CDA Niedersachsen zur Corona-Politik sehr richtig fest, dass wir einen solchen Leitfaden an der Hand haben, der zudem stark von der Katholischen Soziallehre geprägt ist. Etwa die relativ starke Solidarität der deutschen Bevölkerung in diesem Notstand sei kein Zufall oder das Ergebnis von Talk- und Expertenrunden. Vielmehr sei sie Ausdruck der irenischen Idee gesellschaftlichen Miteinanders, wie es die Soziale Marktwirtschaft fordert. Genau diese ordnungspolitische Schablone muss wieder auf den Tisch, um Fehler der jüngsten Vergangenheit aufzudecken, die desaströse Strategielosigkeit zu beenden und es in Zukunft besser zu machen.

Was also sagt uns dieser Kompass? Der untrennbare Dreiklang an Grundprinzipien machen Profil und Stärke der Sozialen Marktwirtschaft aus: 1.) Ein grundsätzliches Ja zur Marktlogik. 2.) Der Markt steht im Dienst am Menschen und seiner Entfaltung. 3.) Die Wirtschaftsordnung schafft – wie von Minister Laumann richtig analysiert – eine irenische Kultur des Zusammenhalts. Wer wahltaktischen Pragmatismus an die Stelle solcher Prinzipien setzt, tappt schnell in die Falle der großen wirtschaftspolitischen Versuchungen: Die etatistische oder gar kollektivistische Versuchung opfert im Namen einer linksideologisch verbrämten sozialen Gerechtigkeit Markt und individuelle Freiheit. Folgen davon sind etwa: uferlose Schuldenberge, billiges Geld, sozialromantische Corona-Bonds, ein intransparenter Subventions-Leviathan, flankiert von politischer Hybris mit Zwangsregiment. Die libertäre oder utilitaristische Versuchung opfert im Namen einer pflichtlosen Freiheit die Humanität. Folgen davon sind etwa der Glaube an die Herdenimmunität, die damit verbundene Opferung vieler Menschenleben, eine Spaltung der Gesellschaft in starke und schwache, alte und junge Menschen und sogar eine komplette Humanvergessenheit, wenn der Wert von Menschenleben nur noch in Geldeinheiten verrechnet wird.

Erlöse uns von dem Bösen: Beide Versuchungen haben einen verlockenden Januskopf. Es reicht nicht aus, sich aus beiden Töpfen zu bedienen, um sich damit schon auf einem vermeintlich guten Dritten Weg zu wähnen, wie es die Soziale Marktwirtschaft ist. Gut gemeinter Synkretismus zwischen Zwang und Freiheit führt ins Gegenteil: Wir stehen heute vor riesigen Schuldenbergen, wachsendem Misstrauen gegenüber der Politik, immer wieder neuen utilitaristischen Rechenspielen (etwa des Gesundheitsökonomen Bernd Raffelhüschen), einer zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von China, kaum finanzierbarem Gesundheitswesen und einem erdrutschartigen Vormarsch des Online-Handels. All das sind Folgen einer Politik, die zwar von Sozialer Marktwirtschaft redet, deren Inhalt aber nicht mehr kennt.

Wer den Kompass Sozialer Marktwirtschaft ernsthaft anlegt, ist immun gegenüber planlosem Synkretismus oder bloßer Wahltaktik. Denn es müssen alle drei Grundprinzipien angelegt werden. Nur dann gibt es eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik im Sinne des Dritten Weges. 1.) Ja zum Markt heißt hier: Mehr auf Anreize setzen als auf etatistischen Zwang. Staatliche Förderungen sollten nicht nach dem Prinzip der Gießkanne oder der Lobbys vergeben werden. Um in Zukunft besser gewappnet zu sein vor solchen Notständen, brauchen wir Unternehmen mit starken Rücklagen und Eigenkapital. Die EZB-Politik der letzten Jahre hat hier diametral falsche Anreize gesetzt. Im Sinne von A. Smith oder F.A. von Hayek brauchen wir vor allem weitere kreative Ideen, wie auch unter Corona-Bedingungen möglichst ohne Zwang Menschen am Markt sich so verhalten, dass das Gemeinwohl aus dem Eigenwohl folgt. Hier erwarte ich mir noch mehr kreative Ideen aus den Wirtschaftswissenschaften. Auch muss Schluss sein mit Schuldenpaketen als Allheilmittel. Denn sie sind eine Sünde an der Generationengerechtigkeit. 2.) Ja zur Humanität bedeutet ein Tabu für alle utilitaristischen Modelle der Entmenschlichung. Wer den Wert des Menschen unter Geldeinheiten subsummiert, hat das Wesen Sozialer Marktwirtschaft verraten. Es braucht einen humanen Zielekatalog der Sozial- und Wirtschaftskultur der Zukunft. Das heißt: Anreize sollten vor allem für eine Wiederbelebung etwa des Einzelhandels und der Gastronomie gesetzt werden. Denn sie sind ein wesentliches Stück unserer Lebensqualität und Sozialkultur, die es zu fördern gilt. Hier sind entsprechende Kreditprogramme (etwa nach KfW-Vorbild) denkbar. Auch die Sozialwirtschaft sollte zur Abfederung von Notlagen und aus Gründen der Subsidiarität gestärkt werden. Offenbar haben wir, so der Fürther Gesundheitsökonom Jürgen Zerth, auch „unsere öffentlichen Gesundheitsinfrastrukturen vernachlässigt. Wir werden eine systematische Diskussion zu einem veränderten Finanzierungsmix brauchen, gerade mit Blick in notwendige Investitionen in öffentliche Gesundheitsversorgung.“ Und es braucht international eine konzertierte westliche Politik, um den chinesischen Wirtschaftsimperialismus zu stoppen. 3.) Ja zur Irenik heißt eine weitere Förderung des Solidargedankens. Hier greifen etwa bildungspolitische Maßnahmen zur Stärkung der Sozialtugend. Eine einseitige Fokussierung auf sogenannte MINT-Fächer entzieht dauerhaft der Sozialen Marktwirtschaft ihr Fundament sozialer Verantwortung. Hoffnungsbilder dürfen nicht populistisch oder lobbyistisch manipuliert sein (z.B. Vorzüge der Fußball-Bundesligen). Sie müssen sich an dem orientieren, was den Menschen wirklich Hoffnung gibt. Hier sollten sich die Kirchen stärker als in der Vergangenheit in der Verantwortung sehen für die Seelen der Menschen. Denn sie sind die Seele der Sozialen Marktwirtschaft. Auch dafür lohnt sich immer ein Vaterunser.

Elmar Nass

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