von Vera Demary
Die Wirtschaft hat es nicht leicht. Das gilt zwar grundsätzlich im Spannungsfeld von Innovations-, Wettbewerbs- und Regulierungsdruck. Dies wird an dem Idiom „Die Klage ist der Gruß des Kaufmanns“ deutlich. Derzeit sind die Herausforderungen aber noch vielfältiger. Kurzfristig mussten Unternehmen – nach den Belastungen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen – zusätzlich die durch den russischen Überfall auf die Ukraine ausgelöste Energiepreiskrise bewältigen und mit Sanktionen und Veränderungsnotwendigkeiten in den Lieferketten umgehen. Gleichzeitig mahnt die Bundesregierung ein erhöhtes Risikobewusstsein beim Umgang mit China – dem bedeutendsten Handelspartner Deutschlands – an. Mittel- bis langfristig haben die Unternehmen ein noch dickeres Brett vor sich: die ökologische sowie die digitale Transformation. Gleichzeitig stehen in Deutschland trotz Zuwanderung absehbar nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung und die bürokratischen Belastungen nehmen eher zu als ab. Für in internationale Lieferketten eingebundene Unternehmen stellen sich außerdem zunehmend auch geopolitische Fragen bei Investitions- und Kooperationsentscheidungen, nachdem der Ukrainekrieg gezeigt hat, wie schnell diese Fragen akut werden können.
In derart unsicheren, von der Vielzahl an Herausforderungen geprägten Zeiten, wird es für Unternehmen noch wichtiger, zu priorisieren, wo und worin sie investieren. Aber wie sollten sie das tun? Was sollten sie zuerst angehen? Was ist wirklich wichtig? Wie erreichen sie eine erfolgreiche Transformation unter der Beachtung der Unternehmenswerte sowie Renditeziele?
Die Beantwortung dieser Fragen liegt in der unternehmerischen Verantwortung. Sie ist zudem spezifisch für das jeweilige Unternehmen. Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass im Unterschied zu den anderen Treibern des Strukturwandels die ökologische Transformation eine Deadline aufweist. Die Politik in Deutschland und Europa hat einen Rahmen vor- gegeben: Die EU soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden, Deutschland sogar schon bis zum Jahr 2045. Dies erzeugt für die ökologische Transformation der Wirtschaft eine große Dring- lichkeit, die je nach Quelle sogar Verfassungsrang aufweist.
Gleichzeitig gibt es Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Strukturwandeltreibern: Der Dekarbonisierung, der Digitalisierung, der Demografie sowie der Deglobalisierung, die Unternehmen zu berücksichtigen haben. Für die digitale ökologische Transformation braucht es beispielsweise passende Fachkräfte, die aufgrund des demografischen Wandels inzwischen oft knapp sind. Ein Gutes hat diese Situation jedoch auch: Der Umgang von Unternehmen mit den einzelnen Strukturwandeltreibern muss nicht separat und unabhängig voneinander erfolgen, sondern kann zumindest in Teilen komplementär sein und eine Chance darstellen. Ein Beispiel dafür ist die unternehmerische Digitalisierung. So wird die Energiewende nur gelingen, wenn Prozesse digital und Stromnetze smart sind. Die Entwicklung entsprechender Produkte und Dienstleistungen kann zum Erfolg hiesiger Unternehmen beitragen. Wenn Strom stärker dezentral – mithilfe von erneuerbaren Energieträgern – erzeugt wird und kleinteilige Abstimmungsprozesse in Echtzeit notwendig sind, ist Digitalisierung eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung und gleichzeitig Vorbild für ausländische Unternehmen und andere Staaten.
Ein weiteres Beispiel für das Zusammenwirken der Strukturwandeltreiber: Seit einigen Monaten ist eindrucksvoll erfahrbar, welche umfassenden Möglichkeiten Künstliche Intelligenz (KI) für die Wirtschaft bietet. KI-basierte Chatbots erlauben es beispielsweise, Aufgaben zu delegieren und damit Zeit und Personalressourcen zu sparen. KI in der Produktion kann die Arbeitsabläufe vereinfachen und beschleunigen. Das kann Freiräume für Beschäftigte schaffen, sich anderen Dingen zu widmen. Darin steckt auch die Chance, bestehende oder sich für die Zukunft abzeichnende Fachkräfteengpässe abzumildern.
Neue Technologien wie KI brauchen jedoch einen Rahmen, da- mit sie erfolgreich eingesetzt werden können, um die Herausforderungen des Strukturwandels zu bewältigen und von den Unternehmen eingesetzt zu werden. Dazu gehört beispielsweise, dass die in Europa entwickelte und genutzte KI den hiesigen Normen und Werten entspricht. Die EU kommt ihrer Aufgabe als Gesetzgeber in diesem Bereich gerade nach und finalisiert ein Gesetz, welches konkrete Vorgaben für KI in Europa macht: Den so genannten AI Act. Das ist gut, denn angesichts der steigenden Komplexität des unternehmerischen Umfelds brauchen Unternehmen einen Gesetzgeber, der bei seiner Tätigkeit mit der technologischen und sonstigen Entwicklung mithalten und schlüssige Regeln setzen kann.
Leider ist das noch nicht in allen Bereichen der Fall. So versucht die EU zwar, den digitalen Binnenmarkt über einheitliche Rahmenbedingungen endlich zu vollenden, ist aber aufgrund ihrer Behäbigkeit und der Dynamik der Digitalisierung trotzdem nicht schnell genug. Auch das zukünftige Strommarktdesign sowie das perspektivische Hochlaufen von grünem Wasserstoff sind Bereiche, die aufgrund ihrer Bedeutung und Komplexität die Aufmerksamkeit der Politik stärker erfordern als dies der- zeit der Fall ist. Diese Bereiche haben gemein, dass eine Klärung der Rahmenbedingungen aufgrund neuer Anforderungen oder neuer Technologien notwendig ist. Dies bedeutet nicht notwendigerweise Regulierung, aber Positionierung der Politik. Die bisher fehlende Klärung sorgt für Planungs- und damit Investitionsunsicherheit bei vielen Unternehmen, obwohl diese vor dem Hintergrund der vielfältigen Transformationsanforderungen dringend investieren müssen.
Die ökologische Transformation, aber auch die übrigen Herausforderungen für Unternehmen in dieser Zeit lassen sich nur dann bewältigen, wenn Politik und Wirtschaft Hand in Hand arbeiten. Die Politik ist als Rahmengeber für die Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Zu diesem Rahmen gehören neben gesetzlichen Regelungen und Vorgaben auch infrastrukturelle Voraussetzungen, sei es Straße, Schiene oder digitale Infrastruktur. Hier hinkt der Staat hinterher, schafft es seit Jahren nicht, schnelle Netze in die Fläche zu bringen und versäumt wesentliche Investitionen in die Verkehrswege. Dazu kommt die Notwendigkeit der Reduzierung von Bürokratie sowie von umfassenden Bildungsinvestitionen. Damit sich die Transformationsanstrengungen der Unternehmen lohnen, muss sich hier dringend etwas tun, denn der Standort Deutschland hat nur dann eine Zukunft, wenn Unternehmen attraktive Bedingungen für das Wirtschaften vorfinden.
Dr. Vera Demary – Leiterin des Clusters Digitalisierung und Klimawandel, Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln.