Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Rezension zu: Der Glaube an Gott und seine sozialen und gesellschaftspolitischen Folgen – wissenschaftstheoretische und philosophisch-theologische Grundlegung

von Stefan Schuller

Als Mitherausgeber des Bandes “Der Glaube an Gott und seine sozialen und gesellschaftspolitischen Folgen” ver- fasste Siegfried Scharrer den darin enthaltenen Beitrag

“Der Glaube an Gott und seine sozialen und gesellschaftspolitischen Folgen – wissenschaftstheoretische und philosophisch- theologische Grundlegung”. Scharrer war bis zu seiner Emeritierung Professor für Philosophie, Sozialwissenschaftliche Methoden und Arbeitsweisen, Theologie an der Evangelische Hochschule Nürnberg.

Der Beitrag beginnt mit erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Vorüberlegungen, thematisiert anschließend den Glauben an Gott und wendet sich daraufhin dessen Folgen zu.

Scharrer betont, dass die Unterscheidung zwischen der Realität und dem Reden über die Realität grundlegend sei. Einerseits sei für Diskussionen wichtig zu benennen, was mit dem Wort ‚Gott‘ gemeint sei und welche nichtsprachliche Realität es bezeichne. Andererseits sei die Realität als solche nicht direkt zugänglich, insbesondere die Realität ‚Gottes‘. Etwas von oder über Gott auszusagen erfordere darum, sich der Begrenztheit der eigenen Denk- und Redeweisen bewusst zu sein. Zudem sollten Aus- sagen über Wirklichkeitserfahrungen gemäß wissenschaftlicher Kriterien nachprüfbar sein. Elementar sei dabei die Unterscheidung von deskriptiven, präskriptiven und evokativen Satzarten. In religiöser Sprache könne darüber hinaus Gott gepriesen, gelobt und gedankt werden.

Der Glaube an Gott wird von Scharrer zunächst mit dem Fokus auf den Glauben und dann auf Gott behandelt. Glauben sei im biblischen Sinne nicht lediglich ein ‚Für wahr halten‘ von Sach- verhalten und Sätzen. Glauben sei ein Vertrauen. Ebenso würde mit dem hebräischen Wahrheitsbegriff “Wahrheit als Vertrau- en” verstanden. Hebräern würden letztlich die Wege ‚Gottes‘ als die wichtigste Wahrheit gelten. Glauben heiße, „sich festmachen in der Nachfolge Jesu“. Dieses ‚Vertrauen‘/ ‚Glauben‘ sei ganzheitlich und habe soziale und gesellschaftspolitische Folgen.

Was den Glauben an Gott mit der Betonung auf ‘Gott’ betrifft, sei zunächst für das hebräische Denken das Bilderverbot in Bezug auf Gott zentral. Es verwehre dem Menschen eine Verfügbarkeit über Gott.

Daneben wäre die Transzendenz Gottes nicht mit einem platonischen Jenseitsverständnis zu verwechseln. Zwar gehe die Wirklichkeit Gottes nicht in unserer Vorfindlichkeit auf, doch handele Gott nach biblischem Verständnis in dieser Welt.

Die Rede von der Existenz Gottes sei zwar eine „Mindest-Implikation“ jeden Glaubens. Es sei jedoch zu vermeiden, ‚abstrakt‘ vom Sein Gottes zu reden. Ohne Gespräch und Rückkopplungsmöglichkeit ‚davon‘ zu reden führe zudem leicht zu Missverständnissen.

Mit dem Kommen Jesu habe ein Prozess begonnen, den die Bibel “Reich Gottes” nenne. Es beginne hier, mit dem Wirken Jesu und würde einst ganze Wirklichkeit werden. In dieser Spannung des angebrochenen jedoch noch nicht vollendenten Reichs Gottes gelte es, in Entscheidungssituationen die weniger schlechte Handlungsalternative zu wählen.

Hinsichtlich der Frage, ob Gott Person oder Prinzip sei, legten dynamische Redeweise und biblisches Denken in Bezug auf Gott den Begriff ‚Person‘ nahe. Bei der Verwendung des Ausdrucks ‚Person‘ sei das Bilderverbot zu beachten. Das Überschreiten unserer Vorstellungen gelte auch für den Begriff ‚Person‘. Gegen- über Seinsprädikaten im Bezug auf Gott sei insgesamt Vorsicht geboten.

Was das Bekenntnis zu Gott als Allmächtigen betrifft sei dieses keine empirische oder metaphysische Behauptung. Es sei eine Vertrauensaussage auf Gottes Heilskraft, die sich endlich durchsetzen werde.

Der Abschnitt über den Glauben an Gott und seine Folgen betont zunächst, dass dem Glauben grundsätzlich Folgen entsprächen. Ohne Folgen meines Glaubens werde fraglich, ob ich Christ sei.

Die Folgen des Glaubens würden sich auch auf Denkstrukturen erstrecken. Am Beispiel der Ökonomie bedeute dies, dass die Folgen sowohl die Denkstrukturen der Ökonomik beträfen als auch das Handeln innerhalb einer Wirtschaftsordnung. Dabei sei diejenige Struktur eines Denkens bzw. Systems, die Menschen am „wenigsten knechte“, am wenigsten unchristlich.

Scharrers Ausführungen zu Ethik und Menschenbild fußen auf dem Autonomiebegriff von Kant. Der Mensch als vernünftiges Wesen sei frei, allein den Gesetzen zu gehorchen, die es selbst gebe. Zugleich unterwerfe es sich selbst einer allgemeinen Gesetzgebung. So erscheine Freiheit als Selbstbindung. Im christlichen Glauben wäre „Glauben an Gott“ eine freiwillige Selbstbindung an den Lebensentwurf Jesu von Nazareth.

Was das christliche Menschenbild betreffe, sei in der kirchlichen Tradition (z.T. bis heute) die platonische Zweiteilung des Menschen als Wesen mit einem sterblichen Körper und einer unsterblichen Seele vorherrschend. Dagegen werde im Hebräischen ein ganzheitliches Menschenbild vertreten

Das Bilderverbot in Bezug auf Gott solle dessen Unverfügbarkeit schützen. Werde der Mensch als ‚Bild Gottes‘ ausgezeichnet, gelte analog die Unverfügbarkeit auch für ihn. Gründe dagegen die Würde des Menschen in seinem biologischen Ursprung, werde er zum höher entwickelten Tier oder zur Bestie. Gründe sie in seiner Funktionstüchtigkeit, werde er zum Opfer der Bestie. Solle das Handeln von Christen im Kontext anderer Wissenschaften verstanden werden, seien formal einsichtige methodische Regeln anzuwenden. So schlägt Scharrer vor, bei ethischen Entscheidungen von einer Grundnorm auszugehen, aus der sich zunächst Normen mittlerer Stufe als “Protestnormen” für die einzelnen Lebensbereiche ableiten lassen, und aus diesen wiederum Handlungsnormen für konkrete Einzelfälle. Letzte- re gingen eine Verbindung mit den jeweiligen deskriptiven Be- schreibungen der jeweiligen Fälle ein. Als Grundnorm schlägt Scharrer vor: “Jede/r ist ein ‚Bild Gottes‘, d.h.: Jede/r hat wie du einen unverfügbaren Wert. Handle danach!” Als Beispiel für eine “Protestnorm” formuliert Scharrer: “Die Rede vom Men- schen als Bild Gottes ist ein ständiger Protst gegen die Herr- schaft von Menschen über Menschen.” Dabei sei „ständiger Protest“ ein Hinweis auf die erwähnte dialektische Spannung vom schon gekommen und noch ausstehenden Reich Gottes.

Scharrers wissenschafttheoretischen Vorbemerkungen setzen zunächst den methodischen Rahmen für seine weiteren Ausführungen. Diese Fundierung ist auch deswegen sehr zu begrüßen, weil daduch der interdisziplinäre ethische Dialog mit Fachdisziplinen erleichtert wird, die diese wissenschaftstheoretischen Grundlagen teilen.

Deutlich wird die wesenliche Bedeutung des hebräischen Denkens für Scharrers Theologie. Fundamental ist dabei Scharrers Feststellung, dass Glaube im biblischen Sinne sich nicht auf ein ‚Für-wahr-halten‘ reduzieren lässt sondern ein Vertrauen dar- stellt. Ähnlich beim hebräischen Wahrtheitsbegriff, der “Wahrheit als Vertrauen” versteht. Glaube und Wahrheit werden so zu Beziehungsbegriffen. Glaube als ein „sich Festmachen in der Nachfolge Jesu“ zu verstehen ist insofern konsequent zu Ende gedacht.

Ein nicht minder fundamentaler Gesichtspunkt hebräischen Denkens ist das Bilderverbot und, damit in Verbindung, die Unverfügbarkeit Gottes. Aufgrund der Gottesebenbildlichkeit des Menschen gilt auch für diesen die Unverfügbarkeit. Letztere er- scheint als die Basis für Scharrers Ethik. Dabei ist seine theologisch Gedankenführung konsequent reformatorisch. So werden die Folgen des Glaubens als dessen notwendige Bedingung verstanden. Auch, dass in der Spannung des angebrochenen, aber noch nicht vollendeten Reiches Gottes bei ethischen Entscheidungen stets nur die Wahl des kleineren Übels bleibt, liegt auf einer reformatorischen Linie.

Schnell erschließt sich das wirtschaftsethische Potenzial seines Ansatzes der “Wahl des kleineren Übels” anhand der von ihm geäußerten Grundgedanken. Die Grundnorm und eine „Protestnorm“ wie, “Die Rede vom Menschen als Bild Gottes ist ein ständiger Protst gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen”, dürften zumindest unter christlichen Ökonomen zustimmungsfähig sein. Etwas schwieriger wird der Übergang von einer solchen Protestnorm zu einer Handlungsnorm für konkrete Einzelfälle. Scharrers Formulierung: “Diejenige Struktur eines Denkens/ Systems, die Menschen am wenigsten knechtet, ist am wenigsten unchristlich” mag hier als Ansatzpunkt dienen. Dabei erscheint die Übersetzung in Begriffe, die Ökonomen vertrauter sind, hilfreich. Unter Rückgriff auf den Freiheitsbegriff sowie den für die Ökonomik zentralen Begriff der Alternative ließe sich Scharrers Formulierung so variieren: “Die relevante Alternative, die die Freiheit von Menschen am wenigsten ein- schränkt, ist am wenigsten unchristlich.” Dabei drückt ‚relevant‘ aus, dass die unter Freiheitsaspekten wünschenswerteste Alternative, z.B. ein bedingungsloses Grundeinkommen in bestimmter Höhe, ggf. nicht finanzierbar ist. Zugleich mag die finanziell am wenigsten aufwendige Alternative unter Freiheitsgesichts- punkten zu defizitär sein. Allein die zwischen diesen ‚Extremen‘ befindlichen Alternativen wären also relevant und stünden für die “Wahl des kleineren Übels” zur Verfügung. In besagtem Bei- spiel wäre dies etwa ein bedingungsloses aber relativ niedriges Grundeinkommen oder ein Grundeinkommen in wünschens- werte Höhe, das jedoch nicht bedingungslos gewährt wird. Dies verdeutlicht, dass durch Scharrers Ansatz der “Wahl des kleineren Übels”, sich sowohl ethische wie ökonomische Gesichtspunkte integrieren und gegeneinander abwägen lassen. Darum erscheint dieser Ansatz in besonderer Weise als Basis einer christlich-reformatorischen Wirtschaftsethik geeignet.

Dr. Stefan Schuller studierte Volkswirtschaftslehre in Münster und promovierte dort auch. Er arbeitet bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg im Controlling- Berichtswesen.

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