Gesellschaft für Wirtschaft und Ethik

Generationenübergreifendes Arbeiten – ein Beispiel zur Generationengerechtigkeit auf der Mikro-Ebene

Im Rahmen der Diskussionen zum Klimawandel fällt häufig der Begriff “Generationengerechtigkeit”, dessen Funktionalität nicht nur durch die unbestimmte Zeitdimension, sondern auch aufgrund unterschiedlicher Gerechtigkeitsbegriffe und diverser Sichtweisen darüber, was mit “Generationen” gemeint sein soll, sehr schnell an Grenzen stößt. Obwohl der Gedanke, dass wir unser Dasein so gestalten, “that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs” (so bereits der Brundtland-Bericht “Our Common Future” 1987, S. 16), als durchaus nachvollziehbar und konsensfähig empfunden wird. Da, wo bereits ein Umfeld aus mehreren Generationen besteht (in einer Familie, in einem Familienunternehmen, in einer Gemeinde), kann Generationengerechtigkeit im kleinen Rahmen praktiziert werden. “Kehren Sie einfach vor der eigenen Haustür” und machen – möglichst nicht zu spät – eigene Erfahrungen im Miteinander der Generationen. Denn wenn wir es noch nicht einmal schaffen, die vorherige oder die nachfolgende Generation im Blick zu haben, wird dies in größeren Zeitdimensionen erst recht nicht funktionieren. Die folgenden Gedanken stammen aus Erfahrungen des Autors als Unternehmensnachfolge-Berater und -Mediator und beziehen sich auf familiäre Generationen, wobei die Grenzen auf dieser Mikroebene bereits fließend sind, wenn bspw. Freunde oder Bekannte der Familie involviert werden. Denn wenn es um die Fortführung unternehmerischer Aktivitäten geht, ist neben der (intrafamiliären) Gerechtigkeit auch die Richtigkeit ein Kriterium, durch das der Blickwinkel weiter, also über die familiären Bande hinaus, wird, um den Fortbestand eines Unternehmens und dessen Funktionen für die unterschiedlichen Stakeholder (Eigentümer und deren Familien, Mitarbeiter und deren Familien, den Staat, Lieferanten, Kunden, …) sicherzustellen.

A) Generelle Überlegungen:
Wir leben in einer Zeit, wo jede und jeder sich ständig neu erfindet (vgl. dazu Reckwitz „Die Gesellschaft der Singularitäten“). Der Aufbau von Gutem auf dem Guten der Vergangenheit erscheint vielen befremdlich. Und es ist keinem zu verdenken, wenn er sich anhand eigener Erfahrungen entwickeln will. Woran liegt das? Meine Thesen: (1) Wir haben auf dieser Erde vieles angerichtet, was nachkommende Generationen nicht positiv bewerten. (2) Wir haben in vielen Bereichen den Zusammenhalt zwischen den familiären Generationen verloren (bspw. durch Scheidungen, Ressentiments, Vorurteile, Bedenken und mangelhafte Kommunikation). (3) Die gesellschaftliche Entwicklung wird immer differenzierter (mit der Gefahr, dass Spezialisierung zur Falle wird) und schneller (Rosa spricht daher von der Beschleunigung als Signum der Moderne).

Daher ist es verständlich, dass gerade die jüngere Generation es scheut, sich auf das bereits Vorhandene und die ältere Generation einzulassen. Doch auch das bekannte Festhalten am eigenen Lebenswerk durch die ältere Generation steht einem Miteinander genauso oft im Weg und behindert so manche familiäre Entscheidung. In biblischen Zeiten war dies scheinbar viel überschaubarer, stetiger und aus der Perspektive Gottes in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Die Tochter der Magd wurde Magd. Der Sohn des Schmieds wurde Schmied. Und bereits beim sog. alten Bund appelliert Gott an Abraham: “Du aber, halte meinen Bund, du und deine Nachkommen, von Generation zu Generation.” (1. Mose 17, 9). Doch auch das Volk Israel kennt Zeiten, wo es abrupte Unterschiede zwischen den Generationen gab (etwa nach dem Tod Josuas: “eine andere Generation, die weder vom Herrn wusste, noch von dem Werk, das er für Israel getan hatte.”, Richter 2, 10b). Dabei sollte bereits den Israeliten bewusst gewesen sein, dass Gottes Segen generationenübergreifende Geltung hat (Psalm 100, 5: “Denn der Herr ist gut, ewig währt seine Gnade und seine Treue von Generation zu Generation.”). Gerade da, wo die (nach Wegge und Schmidt) Salienz (Auffälligkeit) von Altersunterschieden groß ist und die heutige Beziehungskomplexität zugenommen hat, ist für die Arbeitsgestaltung zwischen den Generationen für alle Beteiligten zu klären, ob (a) Prämissen gesetzt werden, (b) worin das gemeinsame Oberziel und (c) der Sinn der (generationenübergreifenden) Arbeit liegen. Generelle, personenunabhängige Prämisse kann etwa bei einer Unternehmensnachfolge der Fortbestand des Unternehmens sein; bei einem Mehr-Generationen-Projekt die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts (so bspw. das Bundesprogramm “Mehrgenerationenhaus. Miteinander – Füreinander” des BMFSFJ). Ein Oberziel läge darin, dass sich durch die Zusammenarbeit die Lebenssituationen aller Beteiligten dauerhaft verbessern. “Der Sinn der Arbeit entfaltet sich” nach Schönfelder “primär dort, wo die eigene Werteorientierung und persönliche Passion [sich] mit dem Anliegen koppelt, welches ich im Arbeitskontext verfolge.” Dazu muss zwischen den Generationen kein identischer Sinn bestehen – auch wenn dies hilfreich ist. Aber es bedarf einer Sinn-Kompatibilität, bspw. wenn der Senior den Sinn seiner Arbeit in der Weitergabe von Erfahrungen sieht, während der Junior die Transformation dieser Erfahrungen in das Setting jüngerer Kundensegmente als sinnvoll erachtet. Dies bedarf der Abstimmung zwischen den Generationen. So empfiehlt Topf: “Wir sollten unsere Kommunikation von Gewohnheit auf Bewusstheit umstellen, von Reflex auf Wirkungsorientierung, von Mitteilen auf Bewegen.” Oder kurz gesagt: Die Generationen müssen miteinander reden! Die Kommunikation bedarf des gegenseitigen Respekts. Dazu gibt Paulus seinem Mitarbeiter, dem späteren Bischof von Ephesos, Timotheus, etwas Generelles mit auf den Weg: „Einen älteren Mann sollst du nicht anfahren, sondern ihn ermahnen wie einen Vater, jüngeren Männern aber begegne wie Brüdern, älteren Frauen wie Müttern, jüngeren wie Schwestern, in aller Lauterkeit. (1. Tim.
5, 1f).

Eine gute, wertschätzende gegenseitige Haltung muss in vielen Familienkonstellationen erst einmal geschaffen werden, und bedarf oft einer rückblickenden Vergebungsbereitschaft, einer gegenwarts-
orientierten Wandelkompetenz und einer vorausblickenden und hoffnungsvollen Zielorientierung.


B. Was kann bei generationsübergreifendem Arbeiten konkret helfen?

Wer im Unternehmen, in einem Projekt oder im Ehrenamt generationenübergreifend arbeitet, sollte davon ausgehen, dass die jeweilige Konstellation einmalig ist und Patentrezepte keine Geltung ha-
ben. Daher sind die folgenden Aspekte nur Anregungen zum Selberdenken:
Werteklarheit und Wertekongruenz Ausgangspunkt „Fairness“

Ein gutes Miteinander von Beteiligten unterschiedlicher Generationen wird wahrscheinlicher, wenn es Konsens bei den relevanten Werten gibt. Im Rahmen des Modells der ethikorientierten Führung gehen Frey/Schmalzried auf den genuinen Wert der Fairness ein, den sie sowohl als Ergebnisfairness sowie als prozedurale, interpersonale und informationale Fairness beschreiben. Bei generationenübergreifender Zusammenarbeit liegt ein Spezialfall der Zusammenarbeit vor, weil gerade aufeinanderfolgende
Generationen hinsichtlich ihrer Werte differieren (können), was eine benötigte Wertekongruenz verhindern kann. Der Wert „Fairness“ eignet sich besonders gut, um eine hohe Konsenswahrschein-
lichkeit zu erzielen, auf der dann andere genuine und nicht-genuine Werte aufgebaut werden können. Im Falle von Kongruenz-Blockaden empfiehlt Miller eine schrittweise Aufdeckung, die zwar auf-
wendig, aber in Bezug auf das Oberziel generationenübergreifender Zusammenarbeit lohnenswert ist.
Bindungsgrad an das gemeinsame Unternehmen/Projekt Zusammenarbeit erfordert immer eine
vertragliche Grundlage, eine Vereinbarung. Während bei juristischen Personen alle Beteiligten über Anstellungsverträge positioniert werden können, ist dies bspw. bei Einzelunternehmern bei Aufnahme einer neuen Generation häufig mit einer Schieflage verbunden. Bei der Ausgestaltung von Anstellungsverträgen sollten beide Generationen darauf achten, dass die Vereinbarungen nicht
enger oder komplexer, aber auch nicht einfacher oder flexibler als mit fremden Dritten gestaltet werden (ggf. ist auch eine Statusfeststellung wichtig). Und es muss für alle die Möglichkeit geben, das
gemeinsame (Unternehmens-)Projekt zu verlassen, was jedoch nicht bei jeder schwierigen Auseinandersetzung in Erwägung gezogen werden sollte, denn zu jeder intensiven Zusammenarbeit gehören Konflikte. Als Mediator decken sich meine Erfahrungen mit der Überzeugung von Merath: „Ich glaube, Konflikte – auf eine bestimmte Art und Weise ausgetragen – schenken Energie.“

Perspektivwechsel bei den Teilaspekten Gesamtsituationen lassen sich oft schwer erfassen. Daher können die Teilaspekte generationenübergreifender Teams (bspw. das wirtschaftlich Gewollte, das sozial Verantwortungsvolle oder das familiär Gerechte) separat voneinander analysiert werden, indem auf sie aus unterschiedlichen Perspektiven geblickt wird (aus Sicht der alten Hasen, aus Sicht der jungen Wilden, aber auch aus Sicht der Gesellschaft oder aus Gottes Perspektive). Die Ergebnisse solcher Perspektiv-
wechsel haben oft etwas erhellendes und bringen Dynamik in das gemeinsame Vorhaben.

Horizonterweiterungen

Wer (noch) keinen Ansatzpunkt für eine Zusammenarbeit mit der vorherigen oder der nächsten Generation sieht, kann sich Gedanken zu einem passenden Zwischenschritt machen, etwa durch Hinzu-
nahme eines Interim-Geschäftsführers. Aber auch wenn die Unternehmensfortführung aus der eigenen Familie auf der Hand liegt, empfiehlt sich für die nächste Generation der Blick in ein anderes Unternehmen oder eine Zwischenstation, wie ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen, das Einblicke in eine Vielzahl von Unternehmen bietet. So werden neue Ideen, die auf Außer-Haus-Erfahrungen basieren, viel mehr Gehör im gemeinsamen Miteinander finden. Eine neue Möglichkeit dazu bietet switch-nachfol-
ge.de.

C. Fazit
Wir sind aufgefordert, Generationengerechtigkeit bereits im Alltag zu leben, und sind als Gottes Geschöpfe recht gut ausgerüstet, um generationenübergreifend unterwegs zu sein, damit Werte erhalten
bleiben, neue Wertschöpfung erfolgt und Werte gelebt werden. Allerdings benötigt generationenübergreifendes Arbeiten Raum und Zeit für Kommunikation. Oder um es mit einer Aussage, die John Locke (1632-1704) zugeschrieben wird, zu sagen: „Nun ist aber die Sprache das große Band, das die Gesellschaft zusammenhält; ja, sie stellt auch den Weg dar, auf dem die Fortschritte der Erkenntnis von einem Menschen zum andern und von einer Generation zur andern überliefert werden.“

Dipl.-Kaufmann
Christian Heuser, M.M., Düsseldorf
(www.beratung-mediation.de), Mitglied der GWE.

Dipl.-Kaufmann
Christian Heuser, M.M., Düsseldorf
(www.beratung-mediation.de), Mitglied der GWE.

Literatur
Frey, Dieter und Schmalzried, Lisa Katharin: Das
Modell der ethikorientierten Führung. In: Finethikon –
Jahrbuch für Finanz- und Organisationsethik,
Bd. 2, S. 61-92.
Heuser, Christian: Unternehmensnachfolge: Wie sie
am besten gelingt … In: bestattungskultur Ausgabe
5/2017, S. 32-34.
Heuser, Christian: Die Unternehmensnachfolge sichern
– mit Mediation. In: Die Mediation, Ausgabe 1/2019,
S. 52-55.
Merath, Stefan: Dein Wille geschehe. Führung für
Unternehmer. S. 288.
Miller, Brigitte: Zusammenarbeit im Unternehmen: Die
Kongruenz-Methode sorgt für einen besseren Flow.
(zuletzt aufgerufen am 17.04.2023 https://www.weka.
ch/themen/management/unternehmensfuehrung/
unternehmenskultur/article/zusammenarbeit-im-un-
ternehmen-die-kongruenz-methode-sorgt-fuer-einen-
besseren-flow/ )
Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten.
Rosa, Hartmut: Best Account. Skizze einer systemati-
schen Theorie der modernen Gesellschaft. In: Reck-
witz, Andreas und Rosa, Hartmut: Spätmoderne in der
Krise. S. 185.
Schönfelder, Christoph: Auszeit. In: Reis, Mario und
Kermas, Stefan: Erfolgfsfaktor Teamarchitektur.
S. 170ff.
Topf, Cornelia: Einfach mal die Klappe halten, S. 61.
Wegge, Jürgen und Schmidt, Klaus-Helmut: Diversity
Management. Generationenübergeifende Zusammen-
arbeit fördern.

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